Roen Orm 3: Kinder des Zwielichts (German Edition)
uns selbst heraus.“
Avanya lächelte versonnen und schüttelte den Kopf. „Es ist natürlich nur eine Legende, doch sie ist schön, finde ich.“
„Was wurde aus dem Wesen, das euch erschaffen hat?“, fragte Eiven stirnrunzelnd. Er stellte überrascht fest, dass er es mochte, Avanyas Stimme zu lauschen. Sie hatte einen tiefen, melodischen Klang, dazu besaß Avanya eine ganz eigene Art, Roensha zu sprechen, wie er es bei seiner Sippe nie gehört hatte. Niyam hatte Recht gehabt, es gab viel mehr auf dieser Welt als nur die Sippe …
„Es gibt verschiedene Geschichten über das Schöpferwesen. Ich mag diejenige am liebsten die davon erzählt, dass das Wesen ins Meer gestiegen ist und dort noch heute glücklich lebt, umgeben von bunten Fischen, die seine Freunde sind. Andere sagen, es hat sich Flügel wachsen lassen, um zu den göttlichen Geschwistern aufzusteigen. Die traurigen Geschichten erzählen, dass Loy kamen, wütend über all das Wasser, das plötzlich ihr Land bedeckte, und das Wesen erschlugen.“ Verschämt blickte sie zur Seite.
„Ich frage deshalb, weil die Legenden der Loy ebenfalls von einem Wesen der Tiefe berichten!“, sagte Eiven schnell. „Man sagt, der Weltenschöpfer habe zuerst die Erdgiganten geformt, riesige, schlangengleiche Kreaturen. Dann legte er sich zur Ruhe und vergaß darüber Enra. Diese Kreaturen fanden ihren Weg an die Oberfläche und staunten über die Weiten des Landes. Einige ließen sich Flügel wachsen, um den Himmel zu erkunden, andere zogen die vertraute Dunkelheit der Erde vor. Sie waren nur wenige und konnten sich nicht vermehren, weil dazu die gesamte Sippe zusammenkommen musste – hm, das habe ich nie verstanden, eine seltsame Vorstellung.“ Eiven war froh, dass Avanya ihn nicht unterbrach. Es machte ihn nervös, so viel zu sprechen, an solche Aufmerksamkeit war er nicht gewohnt. Hastig fuhr er fort: „Irgendwann bemerkten die Geflügelten, dass sie ihre Brüder und Schwestern in der Tiefe nicht mehr finden konnten, ihre Rufe blieben unbeantwortet. Voller Trauer beschlossen die Flügelwesen, nach ihnen zu suchen, und bestimmten einen, der zurückbleiben und warten sollte. Dieser harrte aus, endlose Zeitalter lang. Als niemand zu ihm zurückkam, ahnte er, dass er der letzte seiner Art sein musste, und erschuf aus seinen Krallen und mehreren Federn seiner Flügel die ersten Loy. Er schenkte ihnen den Gedankenstein, den Larcima. In diesem Stein ist die gesamte Schöpfungsgeschichte der Loy hinterlegt, alles, was das Wesen über sich selbst und seine Art wusste. Danach flog er davon, um sein Volk zu suchen, und kam nie wieder zurück.“
„Ihr wisst also mit Sicherheit, wie ihr entstanden seid?“, fragte Avanya aufgeregt.
„Nein. Der Larcima ist verloren.“ Nun war es Eiven, der beschämt zu Boden blickte. „Man sagt, die Nola haben den Stein gestohlen, aus Gier, weil sie von seinem Leuchten angezogen wurden. Sie sollen den Gedankenstein in ihre Hauptstadt verschleppt haben … Die sich wohl unterhalb von Roen Orm befindet.“
„Hm. Das ist auf jeden Fall die Wahrheit, auch wenn ich noch nie von einem Gedankenstein gehört habe“, sagte Avanya nachdenklich. „Unsere wichtigste Stadt, Malaby, befindet sich tief unterhalb von Roen Orm. Sag, war es das, was Niyam bei uns gesucht hat? Ich bin ihm dort begegnet.“
Eiven nickte. „Ja, er hat wohl Spuren oder Hinweise gefunden, dass der Larcima nicht in eurer Stadt selbst verborgen ist, sondern in den höheren Schichten zwischen Malaby und Roen Orm. Jedenfalls wissen wir nicht, ob die Legenden nur Unfug sind. Verzerrungen dessen, was wirklich geschah. Man kann aber wohl davon ausgehen.“
Avanya seufzte und nickte. „Manchmal sind Lügen der Wegweiser zur Wahrheit, so sagt man. Sollen wir weiter? Ich wollte dir doch etwas zeigen!“
Neugierig folgte er ihr, obwohl er am liebsten zurück unter freien Himmel geflohen wäre. Zu seiner Erleichterung erreichten sie nach wenigen Schritten einen Durchgang und gelangten von dort aus in einen breiten Tunnel, der von Kristallen erhellt wurde. Interessiert betrachtete er die weißen Gebilde, die in regelmäßigen Abständen an den Wänden befestigt waren. Einige leuchteten, andere nicht.
„Das sind Bergkristalle. Ich habe sie dazu gebracht, bis in die Außenwelt zu wachsen, wo sie das Tageslicht einfangen und nach unten weitergeben können. Es ist noch sehr unvollkommen, aber es hat für den Winter gereicht.“
„Für den Winter? Wohnst du im Sommer woanders?“
„Ich
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