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Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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unternehmen, mit einer intensiven Reinigung ihres Gefieders. Ähnlich verhielt sich Reinhard. Sollte er mich zum Arzt fahren, um mir den Magen auspumpen zu lassen? Wofür er zugeben mußte, daß er vom Gift in der Flasche wußte! Selbsterhaltungstrieb und Familienbewußtsein hielten sich die Waage, weswegen er schließlich damit begann, sich ausgiebig vorm Flurspiegel zu kämmen. Als sein Gefieder genug geputzt war, siegte der Egoismus. Ohne ein warnendes Wort verließ er mich, nahm also billigend in Kauf, daß unsere Kinder ihre tote Mutter vorfinden würden.
    Kaum war ich allein in der unaufgeräumten Küche, mußte ich heftig weinen. Dieser Mann war feige, untreu und verlogen. Aber was noch schlimmer war, er wollte mich kaltblütig an vergiftetem Grapefruitsaft sterben lassen.
    Allerdings geriet meine ganze Theorie ins Wanken, falls sich der Saft, den ich im Keller sichergestellt hatte, als völlig harmlos erwies. Das mußte schnellstens geklärt werden, von nun an mußte ich Nägel mit Köpfen machen. Wenn ich darauf hoffen wollte, daß mir Reinhard reinen Wein einschenkte, dann konnte ich lange warten; und es konnte sehr gefährlich werden.

    Es ist sicher nicht leicht, durchsichtiges Glas zu malen, noch schwerer wird es, wenn die Flasche halb gefüllt ist. Der Hintergrund des Gemäldes muß teils durch das transparente Material, teils durch die Trübung der Flüssigkeit hindurchschimmern. Das Licht bricht sich, und die Fenster spiegeln sich im Glas, die bauchige Wölbung zaubert Reflexe unterschiedlichster Art. Welche Herausforderung für einen Künstler!

    Auf einem Bild von Cristoforo Munari entzücken gleich drei verschiedene Gläser - ein hauchzarter Krug mit hellrotem Wein, ein zerbrechliches Stielglas und eine Karaffe mit klarem Wasser. Violette und gelbliche Feigen auf einem Silberteller, blau-weißes Porzellan, eine umgekippte Kupferkanne und einige Blumen runden das Stilleben ab. Die grünlich-kühlen Töne überwiegen, aber der funkelnde Rose im Glas und zwei rote Blumen zeugen von verhalten köchelndem Temperament.
    Wie viele seiner Kollegen des ausgehenden siebzehnten Jahrhunderts hat auch Munari mit viel Liebe die unterschiedlichen Oberflächen der erlesenen Gegenstände abgebildet: Metall und Glas, Blumen und Früchte, Keramik und einen lederbezogenen Buchrücken. Am besten ist ihm aber der gläserne Weinkrug gelungen, dessen rubinroter Inhalt wie ein Edelstein leuchtet. Reiner Wein - ein Symbol für die Wahrheit. Wie leicht können Flüssigkeiten gezuckert, geschönt, gepanscht, verwässert, verfälscht oder vergiftet werden.

    Mit klopfendem Herzen ließ ich mir von der Telefonauskunft die Nummer von Gerd Triebhaber nennen. Wie zu erwarten war, meldete sich seine Frau. Ich gab mich als Versicherungsangestellte aus, um zu erfahren, in welcher Klinik er arbeitete. Dann kam der nächste Schritt, das persönliche Gespräch mit Gerd.
    »Welche Freude! Die Annerose, das Neuröslein! Nach so vielen Jahren!« jubelte er. Zum Glück konnte er meine sauertöpfische Miene nicht sehen; ich wollte etwas von ihm, ich mußte zuckersüß bleiben. Nachdem wir beide charmant miteinander geplaudert und uns das Leben nach unserer Trennung in grob-euphemistischen Zügen geschildert hatten, kam ich zur Sache. »Gerd, kannst du eine Flüssigkeit analysieren lassen?«
    »Aber hallo«, sagte er, »Nachtigall, ick hör dir trapsen!«
    Es handle sich um eine absolut vertrauliche Angelegenheit, sagte ich, man trachte mir eventuell nach dem Leben.
    »Dann solltest du die Polizei einschalten«, riet er mir. »Willst du mir keine Einzelheiten verraten?«
    Da meine Vermutung womöglich unbegründet sei, wolle ich mich vor der Polizei nicht lächerlich machen. Außerdem solle sich die verdächtigte Person vorläufig in Sicherheit wiegen.
    »Okay, verstehe«, sagte Gerd, obwohl er wenig begriffen hatte. Wenn ich ihm die bewußte Giftmischung sofort bringe, könne er mir morgen Bescheid geben.
    Natürlich gehorchte ich und setzte mich, ohne lange zu überlegen, ins Auto. Von ferne hörte ich zwar noch das Telefon läuten, aber ich ignorierte es. Falls Reinhard anrief, sollte er ruhig glauben, daß ich bereits bewußtlos war.

    Gerd hatte wenig Zeit, er steckte mitten in der Arbeit. Dessen ungeachtet betrachtete er mich neugierig. »Hübsch siehst du aus«, sagte er anerkennend, obwohl ich mir wirklich keine Zeit genommen hatte, mich herzurichten. »Also gib her«, befahl er und nahm die Flasche an sich. »Grapefruitsaft? Nicht

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