Roland Hassel - 07 - Wiedergänger
die Motorhaube. Der Fahrer preßte eine Hand auf die Hupe, mit der anderen hielt er das Lenkrad fest. Eines der Polizeiautos hinter uns blieb stehen, um dem alten Mann zu helfen, der zu Schaden gekommen war.
Durfte ich meine Rolle eigentlich noch länger spielen? Mußte ich mich nicht endlich wieder in den Polizisten verwandeln, der ich wirklich war? Aber es war unser Ziel, die nazistische Mordliga unschädlich zu machen, eine Terrororganisation, die die schwedische Demokratie zerstören wollte. Ich war das einzige Verbindungsglied. Obwohl mir die Tränen kamen, als ich im Rückspiegel sah, wie einer meiner Kollegen bei dem Alten niederkniete, konnte ich mich doch nicht enttarnen. Es mußte dabei bleiben, auch wenn ich vielleicht später dafür kritisiert werden würde. Was ich auch tat, es konnte nur verkehrt sein. In dieser hektischen, fiebrigen, unwirklichen Stimmung war es sowieso schwer, rationale Entscheidungen zu treffen.
»Mensch, paß auf! Siehst du den Kinderwagen denn nicht? Ich komme nie wieder aus dem Knast … Herrgott, wo habt ihr mich da hineingezogen!«
Raus auf die Torsgatan, bei Rot über die Odengatan und dann die Torsgatan weiter in Richtung Norden. Der Fahrer schlängelte sich durch und bewies ein bemerkenswertes Reaktionsvermögen, um das ihn ein Formel-1-Pilot beneidet hätte. Ab und zu lachte er, leise und heiser und triumphierend. Er genoß die spannende Fahrt.
Aus dem Karlbergsvägen bog hinter uns ein Polizeiauto ein und kam uns so nahe, daß ich die Gesichter meiner Kollegen im Rückspiegel erkennen konnte. Ein Mann in den Fünfzigern und einer um die Dreißig mit energisch zusammengekniffenem Mund. Er trug einen Bart, und ich sah sogar, daß er vor Müdigkeit Augenringe hatte.
Der Mann mit dem Revolver ließ sich Zeit. Er lud neue Patronen in die Trommel und ließ sie ein paarmal schnurren. Es klang, als surrte die Elfenbeinkugel im Roulette. Dann lehnte er sich aus dem Fenster und schoß auf einen der Reifen. Das Polizeiauto scherte nach rechts aus, aber der bärtige junge Kollege behielt es in der Gewalt und konnte stoppen. Die beiden Polizisten sprangen mit gezogener Waffe heraus, aber wir waren schon zu weit entfernt.
»Wo wollt ihr denn hin? Jesus Christus, die erwischen uns allesamt! Wie konntet ihr nur so dämlich sein und ein geklautes Auto benutzen?«
Ich jammerte und schimpfte, was das Zeug hielt. Und ich hatte Angst, die mußte ich nicht spielen. Hatten sie mir das mit der Polizeisperre für Autodiebe abgenommen? Oder war ihnen klar, daß mich höchstwahrscheinlich doch jemand in ihr Auto hatte einsteigen sehen? Wenn ja, dann war eine Kugel in dem Revolver für mich bestimmt. In schwindelnder Fahrt fegten wir über die Solnabron. Wieder Sirenen hinter uns und Polizeifahrzeuge vor uns. Ohne abzubremsen, bogen wir in den schmalen Prostvägen ein und umkurvten geparkte Autos. Hinter einem Haus bog der Fahrer plötzlich ein, drehte eine Hofrunde und lauerte mit schleifender Kupplung in der Einfahrt. Als unsere Verfolger auftauchten, schnellte der blaue Lieferwagen hervor und drängte das Polizeiauto zur Seite. Es raste in voller Fahrt gegen die Holzveranda des gegenüberliegenden Hauses.
Der Fahrer fuhr unbeirrt weiter. Menschen mit Blumen und Kerzen in den Händen spazierten in Richtung Friedhof oder waren auf dem Weg zum Blumenladen. Wir streiften ein älteres Paar, und ich vernahm den dünnen Schmerzensschrei der Frau, bevor sie neben ihrem Mann zu Boden sank.
»So könnt ihr doch nicht weitermachen … das ist Wahnsinn …«
Der verbeulte und an einigen Stellen aufgerissene Lieferwagen setzte seine Todesfahrt auf dem Solnaer Kirchenweg fort. Ein Auto kam uns entgegen. Neben uns fuhren zwei Mädchen auf ihren Fahrrädern und unterhielten sich. Vielleicht hatten sie das Hupen nicht gehört, vielleicht dachten sie, es gelte nicht ihnen. Wir rammten das außen fahrende Mädchen schräg von hinten in ihre Freundin hinein. Auf dem Bürgersteig blieb ein Knäuel aus Fahrradteilen zurück. Das eine Mädchen versuchte sich zu erheben, fiel aber wieder zurück. Das andere lag mit unnatürlich verrenkten Gliedern regungslos da.
Ich stöhnte. Das konnte so nicht weitergehen. Der Lieferwagen war eine Mordmaschine, und eine weitere Mordmaschine saß am Steuer. Ich fühlte mich wie in einem Horrorfilm. Aber es war kein Film. Ich war live dabei und konnte sie nicht stoppen. Drei gegen einen, das war zuviel, und außerdem trug wenigstens einer von ihnen eine garantiert tödliche
Weitere Kostenlose Bücher