Roland Hassel - 14 - Piraten
spätestens dann merken, daß es sich bei dem bartlosen, stoppelhaarigen und körpersprachgewandten Polizisten um eine Reinkarnation Odlers handelt. Ich kann sie nicht täuschen. Versuchst du, mich auszutricksen, oder worum geht es?«
»Rolle, hast du denn kein Interesse daran, die Kerle hochgehen zu lassen? Willst du nicht wissen, wer hinter der Mörderbande steht?«
Ich schmetterte die Faust auf den Tisch, daß die Kaffeetassen tanzten. Der vornehme Oberkellner schaute indigniert herüber.
»Ich hasse diese Mörder so sehr, daß ich mir eine richtige Hölle für sich wünsche, wo sie in Öl und Schwefelsäure kochen und von gehörnten Teufeln mit Gabeln gepiesackt werden sollen. Was du willst, ist aber etwas ganz anderes! Versuchst du, mich zu erpressen?«
»Selbstverständlich! Ich werde alles versuchen, bis du begreifst, daß du als einziger Zeuge des Verbrechens auch der einzige bist, der es aufklären kann. Mein Chef hat mit verschiedenen Leuten gesprochen. Alle wünschen, daß du noch einmal in den Ring steigst.«
»Wünschen?«
»Ein gutes, rundes Wort.«
»Sonst werde ich wohl rausgeschmissen? Unehrenhaft entlassen? Zum Spießrutenlauf geschickt? Wollt ihr mir die Dienstmarke abnehmen, während die versammelte Mannschaft den Polizeiwalzer rückwärts singt?«
Hiller blickte gespielt harmlos.
»So weit muß es doch nicht kommen.«
Ein unangenehmes Gefühl beschlich mich. Was würde passieren, wenn ich mich weigerte, mein Leben noch einmal zu riskieren? Im Dienst mußte ich aus gesundheitlichen Gründen allmählich kürzer treten, doch ich traute mir zu, ohne Bestechung durch die medizinische Kontrolle zu kommen. Oder war das nur Wunschdenken? Ich mußte weiterhin Medikamente nehmen. Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie die Chefs gemeinsam die Köpfe schüttelten. Gab es nicht schon einen Beschluß, diesen Hassel vorzeitig in Pension zu schicken? War die Zeit nicht reif, wo sich der Mann bei einem wichtigen Auftrag doch so sperrte?
»Du sagtest, man hätte entschieden, daß ich die Sache übernehmen soll?«
»Sagte ich das?«
»Wer ist ›man‹?«
»Mein Gedächtnis läßt manchmal sehr zu wünschen übrig.«
»Verdammt noch mal, du hast eindeutig gesagt …«
»Du mußt dich verhört haben. Vielleicht hast du mich einfach falsch verstanden – oder ganz richtig. Wie man die Dinge sieht, hängt von der Brille ab, die der Optiker gerade zur Hand hatte.«
»Was für ein dummes Gerede!«
»Möchtest du ein Stück Kuchen? Etwas Süßes hebt die Laune.«
War Hiller je mein Freund gewesen? Oder hatte er mich nur ausgenutzt? Hatte er auf meinen Saiten gespielt wie ein guter Gitarrist, der auch einem ungestimmten Instrument eine Melodie entlocken kann? Das Essen hatte plötzlich einen bitteren Nachgeschmack, den mir auch ein Stück Kuchen nicht versüßen konnte. Hiller lächelte ergeben, als hätte er meine Gedanken gelesen, die tatsächlich schwer zu verbergen waren. Weich sagte er:
»Rolle, tu einfach, was dir deine innere Stimme rät. Okay? Was rät sie dir? Ich möchte wiederholen, daß ich und andere meinen, du bist der einzige, der in bestimmte Bereiche vordringen könnte. Ohne dich werden wir weiter im Dunkeln tappen.«
Ich schwieg und starrte auf die Tischdecke. Er legte die Hand auf meine Schulter und massierte sie zärtlich, als wage er endlich, mir seine große Liebe zu gestehen.
»Rolle, deine Lage ist nicht beneidenswert, aber du kannst sie dir nicht aussuchen. Meine Chefs würden es am liebsten sehen, wenn du öffentlich über den Massenmord aussagst, denn damit könnte man die Ratten aus ihren Löchern jagen. Wie du weißt, habe ich mich dagegen ausgesprochen. Andererseits, wenn sie so gar keine Unterstützung von dir …«
Die Falle war zugeschnappt, und ich konnte nur ohnmächtig am Gitter rütteln. Verweigerte ich aus begründeter Angst um mein Leben das eine, mußte ich das andere tun. Wenn ich jetzt eine Lebensversicherung abschließen wollte, hatte ich schlechte Karten.
»Carl, du zwingst mich, auf deine Bedingungen einzugehen. Aber ich möchte dir auch sagen, daß ich in Zukunft nichts mehr mit dir zu tun haben will.«
»So solltest du es nicht sehen. In diesem Kampf stehen wir absolut auf derselben Seite, und wir werden gemeinsam gewinnen.«
Ich schüttelte seine Hand ab und erwiderte, ohne ihn anzusehen:
»Wenn ich von der Mörderbande oder deren Kollegen getötet werde, kann ich nichts gegen dich unternehmen. Aber wenn meine Frau oder meine Tochter durch die
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