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Rollende Steine

Rollende Steine

Titel: Rollende Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Reaktion. Das war nie nötig gewesen.
    Eine Gestalt stand am Ende des Durchgangs, in einem Kreis aus Lam-
    penlicht.
    »Ja, Frau Anstand?«
    Die Rektorin sah zu ihr und schien auf etwas zu warten.
    »Ist alles in Ordnung mit dir, Frau Anstand?«
    Die Lehrerin faßte sich. »Wir haben schon nach Mitternacht, jawohl!
    Und du liegst nicht im Bett! Schäm dich! Und du trägst nicht deine Internatsuniform!«
    Susanne blickte an sich herab. Es war immer schwierig, alle Details
    richtig hinzubekommen. Sie trug nach wie vor das schwarze Kleid mit
    Spitzenbesatz.
    »Ja«, bestätigte sie. »Du hast recht.« Sie bedachte die Rektorin mit ei-
    nem strahlenden Lächeln.
    »Weißt du, es gibt so etwas wie Internatsregeln«, sagte Frau Anstand, doch sie klang ein wenig unsicher.
    Susanne klopfte ihr auf den Arm. »Ich schätze, es sind keine Regeln in
    dem Sinne, eher Richtlinien, nicht wahr, Eulalie?«
    Frau Anstand öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu. Und Su-
    sanne stel te nun fest, daß die Lehrerin eigentlich recht klein war. Sie
    wirkte groß, hatte eine große Stimme und ein großes Gebaren. Man
    konnte sie praktisch in jeder Hinsicht als groß bezeichnen – die Ausma-

    ße ihres Körpers bildeten die einzige Ausnahme. Erstaunlicherweise hat-
    te sie es bisher geschafft, diese Tatsache zu verheimlichen.
    »Ich gehe jetzt besser zu Bett«, sagte Susanne, während ihre Gedanken
    auf einem Parkett aus Adrenalin tanzten. »Und dir empfehle ich, dich
    ebenfalls zur Ruhe zu legen. In deinem Alter sollte man um diese Zeit
    nicht durch zugige Flure wandern. Außerdem ist morgen der letzte
    Schultag. Du möchtest bestimmt nicht müde aussehen, wenn die Eltern
    eintreffen.«
    »Äh… ja. Ja. Danke, Susanne.«
    Das Mädchen schenkte der verwirrten Rektorin noch ein herzliches
    Lächeln und ging dann in den Schlafsaal, wo sie sich im Dunkeln ent-
    kleidete und unter die Decke schlüpfte.
    Es war still – abgesehen vom gleichmäßigen Atmen der anderen neun
    Schülerinnen und dem lawinenartigen Schnaufen der schlafenden Prin-
    zessin Jade.
    Kurze Zeit später gesellte sich ein anderes Geräusch hinzu. Es klang
    wie jemand, der schluchzte und nicht wol te, daß man ihn schluchzen
    hörte. Susanne weinte ziemlich lange – sie hatte eine Menge nachzuho-
    len.
    Hoch über der Welt nickte Tod. Man konnte Unsterblichkeit wählen
    oder sich für das menschliche Wesen entscheiden.
    Wie auch immer: Man mußte die Wahl selbst treffen.

    Der letzte Tag des Schuljahres war besonders chaotisch. Einige Mädchen
    brachen schon früh auf; es kamen viele Eltern aus verschiedenen Völ-
    kern; und es fand kein Unterricht statt. An diesem besonderen Tag durf-
    ten die Internatsregeln großzügig ausgelegt werden.
    Susanne, Gloria und Prinzessin Jade wanderten zur Blumenuhr. Sie
    zeigte ein Viertel vor Gänseblümchen an.
    Susanne fühlte sich leer und gleichzeitig gespannt wie die Sehne eines
    Bogens. Es überraschte sie, daß keine Funken von ihren Fingerspitzen
    stoben.
    Gloria hatte in der Dreirosenstraße eine Tüte mit gebackenem Fisch
    gekauft. Der Geruch von heißem Essig und massivem Cholesterin löste

    sich vom Papier, diesmal ohne das Aroma von gebratener Fäulnis, das
    den Produkten jenes Ladens normalerweise anhaftete.
    »Mein Vater meint, ich sol heimkehren und einen Troll heiraten«, sagte
    Jade. »He, wenn du leckere Gräten findest… ich nehme sie gern.«
    »Kennst du ihn?« fragte Susanne.
    »Nein. Aber mein Vater hat mir erzählt, daß er einen hübschen großen
    Berg besitzt.«
    »Ich würde mich an deiner Stelle nicht damit abfinden«, sagte Gloria
    mit vol em Mund. »Dies ist das Jahrhundert des Flughunds. Sag deinem
    Vater die Meinung und betone, daß du dir deinen Zukünftigen selbst
    aussuchen möchtest. Was hältst du davon, Susanne?«
    »Wie bitte?« erwiderte Susanne, die in Gedanken ganz woanders gewe-
    sen war. Als ihre Freundinnen al es wiederholt hatten, sagte sie: »Nein.
    Ich würde mir den Mann zunächst mal ansehen. Viel eicht ist er ganz
    nett. Und dann wäre der Berg eine zusätzliche Prämie.«
    »Ja«, murmelte Gloria. »Logisch. Hat dir dein Vater ein Bild geschickt,
    Jade?«
    »Ja, das hat er«, bestätigte die Trollin.
    »Und?«
    »Nun, in dem Berg gibt es einige interessante Felsspalten«, sagte Jade
    nachdenklich. »Außerdem einen Gletscher, der nicht einmal im Hoch-
    sommer schmilzt.«
    Gloria nickte anerkennend. »Klingt nach einem attraktiven Burschen.«
    »Aber mir hat schon immer ein ganz

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