Rom - Band II
einer plötzlichen, tiefen Stille, die nur von dem Klopfen der Herzen gestört wurde, erhob er den Arm mit einer sehr edlen Geberde und erteilte langsam, mit lauter und fester Stimme den päpstlichen Segen. Es schien die Stimme Gottes selbst zu sein, so überraschend klang sie von diesen wächsernen Lippen, aus diesem blutlosen und leblosen Körper. Die Wirkung war niederschmetternd; als der Zug sich von neuem bildete, um denselben Weg zurückzugehen, den er gekommen, brach der Beifall von neuem los. Die Raserei der Begeisterung hatte einen derartigen Paroxismus erreicht, daß das Händeklatschen nicht mehr genügte, sondern Zurufe, Schreie sich darein mischten, die sich nach und nach der ganzen Menge mitteilten. Das ging anfangs von einer stürmischen Gruppe neben der Statue des heiligen Petrus aus: » Evviva il papa re! Evviva il papa re! Hoch der Papst-König! Hoch der Papst-König!« Dann lief es längs des ganzen Zuges wie die Flamme einer Feuersbrunst hin, entzündete nach und nach alle Herzen und ertonte zuletzt aus Tausenden von Mündern wie eine donnernde Verwahrung gegen den Raub der Kirchenstaaten. Der ganze Glaube, die ganze Liebe der Gläubigen wurde durch das königliche Schauspiel einer so schönen Zeremonie überreizt und kehrte zu dem Traum, zu dem leidenschaftlichen Wunsche nach einem Papst zurück, der König und Pontifex, Herr der Körper wäre, wie er Herr der Seelen war, der unumschränkte Beherrscher der Erde, Darin lag die einzige Wahrheit, das einzige Glück, das einzige Heil. Alles sollte ihm gegeben werden, die Menschheit und die Welt! » Evviva il papa re! Evviva il papa re! Hoch der Papst-König! Hoch der Papst-König!«
Ach, dieser Ruf, dieser Kriegsruf, um dessentwillen so viele Fehler begangen wurden und so viel Blut geflossen ist, dieser Schrei der Hingebung und Verblendung, dessen Verwirklichung die Zeiten des Leidens zurückgeführt hätte! Er empörte Pierre und bewog ihn, rasch die Tribüne zu verlassen, auf der er sich befand, als wolle er der Ansteckung der Abgötterei entschlüpfen. Während der Zug noch immer vorbeizog, versuchte er einen Augenblick in dem Gedränge, in dem fortdauernden, betäubenden Lärm der Menge durch das linke Seitenschiff hinauszugehen; da er aber die Hoffnung aufgab, auf diese Weise auf die Straße zu gelangen, und das wilde Gedränge am Ausgang vermeiden wollte, kam er auf den Gedanken, eine Seitenthür zu benutzen, und flüchtete sich in die Vorhalle, von wo eine Treppe auf den Dom hinaufführt. Bei dieser Thür stand ein Sakristan, von dem Schauspiel ganz verwirrt und entzückt; er sah ihn einen Augenblick an und schwankte, ob er ihn aufhalten sollte, aber der Anblick der Sutane und wohl noch mehr die tiefe Erregung, in der er sich befand, machten ihn duldsam. Mit einer Geberde ließ er Pierre vorüber; dieser betrat sofort die Treppe und stieg sehr rasch hinan, um zu fliehen, um immer höher und höher, in Ruhe und Frieden zu gelangen. Und plötzlich ward es ganz stille; die Mauern erstickten den Ruf, und nur sein Beben schien in ihnen zurückzubleiben. Die Treppe war bequem und hell, mit breiten, gepflasterten Stufen, die in eine Art von Turm ausliefen. Als er auf den Dächern der Schiffe anlangte, war er froh, wieder in die helle Sonne, in die reine, frische Luft zurückzukehren, die dort wie auf einem freien Felde wehte. Erstaunt überflogen seine Blicke diese ungeheure Entfaltung von Blei, Zink und Stein; es war eine ganze lustige Stadt, die hier unter dem blauen Himmel ein eigenes Leben führte. Er sah Dome, Glockentürme, Terrassen, sogar Häuser und Gärten – die mit Blumen geschmückten Häuser einiger Arbeiter, die wegen der fortwährenden Ausbesserungsarbeiten dauernd auf der Basilika wohnen. Eine ganze, kleine Bevölkerung lebt, arbeitet, liebt, ißt und schläft hier. Er näherte sich der Brustwehr, da er die kolossalen Statuen des Heilands und der Apostel, von denen die Fassade über dem St. Petersplatz überragt wird, in der Nähe betrachten wollte; die sechs Meter hohen Riesen müssen fortwährend ausgebessert werden, und die von der starken Luft halb zerfressenen Arme, Beine und Kopfe halten nur noch mit Hilfe von Zement, Stangen und Klammern zusammen. Während er sich nun hinabbeugte, um über den roten Dächerhaufen des Vatikans einen Blick zu werfen, schien es ihm, daß der Schrei, vor dem er floh, von dem Platze zu ihm hinaufbringe. Eilig stieg er in dem Pfeiler, der auf die Kuppel führte, weiter. Zwischen den beiden Wänden
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