Rom - Band II
der doppelten Kuppel, der inneren und der äußeren, stieg erst eine Treppe empor; dann kamen enge, schräge Korridore, Rampen, die nur von einigen Stufen durchquert wurden. Einmal stieß er neugierig eine Thüre auf und kehrte so in die Basilika zurück; er befand sich nun mehr als sechzig Meter vom Boden entfernt auf einer engen Galerie, die rings um den Dom lief, gerade unter dem Fries, wo in sieben Fuß hohen Buchstaben die Inschrift stand: tu es Petrus et super hanc petram . Und als er den Ellenbogen aufstützte, um in das furchtbare Loch unter sich, mit den tiefen Ausblicken auf die Querschiffe und Schiffe, hinabzuschauen, schlug ihm der Ruf, der wahnwitzige Ruf der da unten wimmelnden, ungeheuren Menge heftig ins Gesicht. Weiter oben öffnete er abermals eine Thür und befand sich auf einer zweiten Galerie, diesmal über den Fenstern, am Anfang der schimmernden Mosaiken; von dort aus erschien ihm die Menge kleiner, entlegener, wie verloren in dem schwindelnden Abgrund, auf dessen Grunde die riesigen Statuen, der Altar der Konfession, der prächtige Baldachin Berninis nur noch wie Spielzeug aussahen. Trotzdem erhob sich der Ruf, dieser Kriegs- und Vergötterungsruf von neuem und peitschte ihn wie ein rauher Orkan, dessen Gewalt im Laufe noch wächst. Er mußte noch höher, immer höher steigen, bis auf die geradewegs in den Himmel ragende äußere Galerie der Laterne, um ihn nicht mehr zu hören.
Welch köstliche Erleichterung bereitete ihm anfangs dieses Baden in Luft und Sonne, dieses Baden im Unendlichen! Ueber ihm war nichts mehr als die vergoldete Bronzekugel, in die, wie pomphafte Inschriften in den Korridoren bestätigten, Kaiser und Könige gestiegen find – die hohle Kugel, wo die Stimme wie Donner widerhallt, wo jedes Geräusch des Raumes widerklingt. Er trat aus dem Chor heraus und erblickte zuerst die päpstlichen Gärten, deren Baumgruppen ihm aus dieser Höhe wie am Boden sich hinziehende Büsche erschienen; er gedachte seines kürzlichen Spazierganges, des riesigen Rasenparterres, das einem verblichenen Smyrnateppiche glich, des großen, tiefgrünen und wie eine schlummernde Pfütze undurchsichtigen Gehölzes, des traulicheren, sorgfältig gehaltenen Obst- und Weingartens. Die Springbrunnen, der Turm der Sternwarte, das Kasino, wo der Papst die heißen Sommertage verbrachte, bildeten inmitten dieser unregelmäßigen Gründe nur noch kleine, weiße Flecke. Alles war von der schrecklichen Mauer Leo IV. umschlossen, die noch immer wie eine alte Festung aussah. Dann ging er eine enge Galerie entlang rings um die Laterne und sah plötzlich Rom vor sich, das mit einemmale seine ganze, ungeheure Grüße vor ihm entrollte: im Westen das ferne Meer, im Osten und Süden die ununterbrochenen Ketten der Gebirge, gleich einer einförmigen, grünen Wüste, den ganzen Horizont beherrschend, die römische Campngna, und zu seinen Füßen die Stadt, die ewige Stadt. Da lag Rom unmittelbar unter dem Blick, deutlich wie ein geographischer Reliefplan. Eine solche Vergangenheit, eine solche Geschichte, so viel Größe – und dieses durch die Entfernung so verkleinerte Rom, diese liliputanischen, hübschen Spielzeughäuser, kaum ein Schimmelfleck auf der riesigen Erde! Was ihn jedoch besonders lebhaft anzog, war, daß er mit einem Blick die Einteilung der Stadt begriff: da unten auf dem Kapitol, auf dem Forum, auf dem Palatin die antike Stadt; die päpstliche Stadt in diesem Borgo, das sein Blick beherrschte, im St. Peter und Vatikan, die auf die moderne Stadt schauten; der italienische Quirinal über der mittelalterlichen Stadt im Hintergrunde des rechten Winkels, den der Tiber, der hier seine gelben, schweren Wasser dahinwälzte, bildete. Insbesondere eines fiel ihm auf, nämlich der kreidige Gürtel, den die neuen Viertel um den mittleren Kern des alten, rötlichen, von der Sonne verbrannten Viertels bildeten; das war das echte Sinnbild der versuchten Verjüngung – in dem alten Herzen gehen die Ausbesserungen so langsam vor sich, während die äußeren Glieder sich wie durch ein Wunder wieder erneuten.
Aber in der heißen Mittagssonne erschien Pierre Rom nicht so hell und rein, wie am Morgen seiner Ankunft, in der lieblichen Milde des ausgehenden Gestirns. Das war nicht mehr das lächelnde, verschwiegene, von einem goldenen Nebel halb verhüllte und gleichsam wie in einem Kindheitstraum aufgeschwungene Rom. Jetzt, in dieser grellen Helle besaß es eine unbewegliche Härte, eine Totenstille. Der Hintergrund war
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