Rom - Band II
Morastlöchern war, noch immer einen schändlichen Pestgeruch ausströmte. Man that sehr wohl daran, ihn noch lange so trocknen und sich in der Sonne reinigen zu lassen. In allen diesen Vierteln zu beiden Seiten des Tibers, wo bedeutende städtische Arbeiten unternommen worden waren, trifft man bei jedem Schritt auf ein und dasselbe: man durchschreitet eine enge, stinkende, eisig feuchte Straße zwischen düsteren Häuserreihen mit Dächern, die sich beinahe berühren, und gerät plötzlich in eine Lichtung, die mittelst der Haue in den Wald der alten, aussätzigen Gemäuer geschlagen wurde. Es gibt da Squares, breite Bürgerstege, hohe, weiße, mit Skulpturen bedeckte Gebäude – alles im Rohzustand, unvollendet, mit Schutt angefüllt, mit Pfahlwerk verrammelt. Ueberall sieht man die Spuren geplanter Straßen; es ist ein gewaltiger Zimmerplatz, den die Finanzkrise jetzt zu verewigen droht; die Stadt von morgen ist in ihrem Wachstum aufgehalten und bleibt mit ihren maßlosen, übereilten und nun nicht harmonirenden Anfängen in ihrer Not da stehen. Aber es war nichtsdestoweniger eine gute und gesunde Arbeit, die für die große und moderne Stadt eine unbedingte soziale Notwendigkeit war, wofern man das alte Rom nicht an Ort und Stelle verfaulen lassen wollte, wie eine Merkwürdigkeit aus alter Zeit, ein Museumsstück, das man unter Glas aufbewahrt.
An diesem Tage machte Pierre, während er sich von Trastevere nach dem Palazzo Farnese begab, wo er erwartet wurde, einen Umweg. Er ging durch die Via de Pettinari, dann durch die Via de Giubonari, von denen die erstere so düster und zwischen der großen Mauer des Hospitals und den elenden Häusern gegenüber so eingekeilt ist, während die zweite durch die fortwährende Volksflut so belebt und von den Schaufenstern der Juweliere mit den dicken Goldketten, von den Auslagen der Stoffhändler, wo ungeheure blaue, gelbe, grüne, rote Stoffbahnen in glänzenden Tönen herabfluten, so aufgefrischt wird. Das Arbeiterviertel, das er eben durchschritten hatte, dieses Kleinkrämerviertel, das er eben durchschritt, beschwor in seinem Geiste die schrecklichen, elenden Viertel herauf, die er bereits besucht hatte – beschwor die erbarmungswürdige Masse der heruntergekommenen, durch den Ausstand zur Bettelei gezwungenen Arbeiter herauf, die in den prächtigen, verlassenen Gebäuden auf den Prati del Castello kampirten. Ach, das arme, das unglückliche, Kind gebliebene Volk, das von Jahrhunderten der Theokratie in der Unwissenheit, in der Gläubigkeit von Wilden erhalten wurde, das an die Nacht seines Geistes, an die Leiden seines Körpers so gewohnt ist, daß es trotz allem heute dem sozialen Erwachen ferne bleibt und glücklich ist, wenn man es in Frieden seinen Stolz, seine Faulheit, seine Sonne genießen läßt! Es schien in seinem Verfalle blind und taub zu sein; es setzte sein stockendes Leben von einst inmitten der Umwälzungen des neuen Roms fort, ohne etwas anderes als Aerger zu empfinden, weil die alten Viertel, in denen es wohnte, niedergeschlagen, die Gewohnheiten verändert, die Lebensmittel teurer geworden waren. Es war, als ob die Helle, die Reinlichkeit, die Gesundheit ihm lästig fielen, da man sie mit einer großen Arbeits- und Finanzkrise bezahlen mußte. Trotzdem, ob es nun mit Absicht geschehen war oder nicht, wurde Rom im Grunde einzig und allein für das Volk gereinigt und in der Absicht, eine große, moderne Hauptstadt daraus zu machen, neu gebaut; denn am Ende dieser Verwandlungen ist die Demokratie; das Volk wird es sein, das morgen diese Städte erben wird, aus denen man Schmutz und Krankheit verjagt, wo das Gesetz der Arbeit sich zuletzt einrichten und das Elend töten wird. Und darum muß man sich, wenn man die sorgfältig gekehrten, philiströs gehaltenen Ruinen, das Kolosseum verflucht, das von seinem Epheu, seinen Sträuchern, seiner wilden Flora befreit wurde, die die jungen Engländerinnen ins Herbarium legten, wenn man sich über die schrecklichen Festungsmauern ärgert, die den Tiber einkerkern, wenn man die ehemaligen, so romantischen Ufer mit ihrem Grün und ihren alten ins Wasser tauchenden Häusern beweint, doch sagen, daß das Leben aus dem Tode entspringt, und daß das Morgen notgedrungen aus dem Staube der Vergangenheit aufblühen muß.
Während Pierre an diese Dinge dachte, war er auf der einsamen, regelmäßigen Piazza Farnese mit ihren geschlossenen Häusern und ihren zwei Springbrunnen angelangt, von denen der eine mitten in der
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