Rom - Band II
seiner zahlreichen Nachkommenschaft den Palast allein bewohnten, waren selten. Fast sämtliche vermieteten die alten Behausungen der Ahnen an Gesellschaften, an Private, indem sie sich ein Stockwerk, manchmal sogar nur eine einfache Wohnung in dem geringsten Winkel zurückbehielten. Der Palazzo Chigi war vermietet: das Erdgeschoß an Banken, der erste Stock an den österreichischen Botschafter, während der Fürst und seine Familie sich mit einem Kardinal in das zweite Stockwerk teilten. Der Palazzo Schiarra war vermietet: der erste Stock an den Minister des Auswärtigen, der zweite an einen Senator, während der Fürst und seine Mutter nur das Erdgeschoß bewohnten. Der Palazzo Barberini war vermietet: das Erdgeschoß, der erste und zweite Stock an Familien, während der Fürst im dritten, in den ehemaligen Bedientenzimmern wohnte. Der Palazzo Borghese ist vermietet: das Erdgeschoß an einen Antiquitätenhändler, der erste Stock an eine Freimaurerloge, alle übrigen an Familien, während der Fürst nur die paar Zimmer einer kleinen bürgerlichen Wohnung für sich behalten hat. Der Palazzo Odescalchi ist vermietet, der Palazzo Colonna ist vermietet, der Palazzo Doria ist vermietet, und die Fürsten führen darin nur noch das beschränkte Leben guter Hauseigentümer, indem sie aus ihren Grundstücken den größtmöglichen Nutzen ziehen, um auskommen zu können. Das kam daher, weil ein zerstörender Wind über das römische Patriziat strich; die größten Vermögen waren eben in der Finanzkrise zusammengebrochen, und sehr wenige blieben reich. Und was für ein Reichtum war das! Ein unbeweglicher, toter Reichtum, den weder Handel noch Industrie erneuern konnten. Die zahlreichen Fürsten, die sich in Geschäften versucht hatten, waren zu Grunde gerichtet. Den anderen, die dadurch abgeschreckt und außerdem mit ungeheuren Steuern belastet waren, die ihnen ein Drittel ihrer Einkünfte fortnahmen, blieb fortan nichts übrig, als abwartend zuzusehen, wie ihre letzten stille stehenden Millionen sich an Ort und Stelle erschöpften, durch Teilungen zerstückelt wurden und starben, wie eben das Geld gleich allem anderen stirbt, wenn es nicht mehr in einer lebenden Erde Früchte trägt. Es war nur noch eine Frage der Zeit, denn der endgiltige Ruin war unheilbar, ein unbedingtes, historisches Verhängnis. Diejenigen, die sich in das Vermieten ergaben, kämpften noch um das Leben, trachteten sich der gegenwärtigen Epoche anzubequemen, indem sie sich bemühten, wenigstens die Einsamkeit ihrer allzu großen Paläste zu bevölkern; bei den anderen hingegen, bei den Störrischen und Stolzen, die sich in dem Grabe ihrer Rasse einmauerten, wohnte bereits der Tod. So war es in dem schrecklichen, zu Staub zerfallenden, in Dunkel und Schweigen erstarrten Palazzo Boccanera, wo nichts zu hören war als von Zeit zu Zeit die dumpfe, über das Gras des Hofes rollende, alte Karosse des ausfahrenden oder zurückkehrenden Kardinals.
Pierre aber machten besonders diese zwei auf einander folgenden Besuche in Trastevere und im Palazzo Farnese betroffen; der eine erhellte den andern, und beide fühlten zu einem Schlusse, der sich bisher noch nie mit einer so erschreckenden Deutlichkeit in ihm gebildet hatte: es gab noch kein Volk und bald würde es keine Aristokratie mehr geben. Das verfolgte ihn fortan, als sei es das Ende einer Welt. Das Volk, von der Geschichte und dem Klima in einer langen Kindheit erhalten, war, wie er gesehen hatte, so elend, so unwissend und ergeben, daß lange Jahre der Erziehung und des Unterrichts notwendig waren, damit es eine starke, gesunde, thätige, ihrer Rechte wie ihrer Pflichten bewußte Demokratie bilden konnte. Die Aristokratie starb gänzlich im Hintergrunde ihrer zusammenbrechenden Paläste; sie war nur noch eine erschöpfte, entartete Rasse und außerdem mit amerikanischem, österreichischem, polnischem, spanischem Blut so gemischt, daß das reine römische Blut eine seltene Ausnahme bildete – abgesehen davon, daß sie aufgehört hatte, im Kriegsdienste und im Dienste der Kirche zu stehen. Es widerstrebte ihr, dem konstitutionellen Italien zu dienen, und sie ließ das heilige Kollegium im Stiche, wo nur noch die Emporkömmlinge sich mit dem Purpur bekleideten. Und zwischen den Kleinen unten und den Mächtigen oben existirte noch nicht ein fest begründetes, durch einen neuen Saft starkes Bürgertum, das weise und unterrichtet genug gewesen wäre, um der Uebergangserzieher der Nation zu sein. Das Bürgertum
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