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Rom - Band II

Rom - Band II

Titel: Rom - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola , A. Berger
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schlafen sollten! Und was für eine Hoffnung auf Bereicherung und Unterstützung eines Volkes waren die wunderbaren Funde, die man im Tiber machen würde, wenn man ihn eines Tages austrocknen und durchstöbern könnte! Vielleicht lag hier das Glück Roms.
    Aber in dieser tiefdunklen Nacht dachte Pierre, während er am Geländer lehnte, nur an die strenge Wirklichkeit. Er setzte seine Betrachtungen vom Tage fort und gelangte angesichts dieses toten Wassers zu dem Schlusse, daß das große Unglück, an dem das junge Italien litt, darin bestand, daß man Rom zur modernen Hauptstadt gewählt hatte. Diese Wahl war unvermeidlich, da die Stadt Rom die alte Herrin der Welt war, der die Ewigkeit verheißen wurde, ohne die die nationale Einheit stets unmöglich erschienen war. Die Entscheidung war daher schrecklich; denn ohne Rom konnte Italien nicht sein, und mit Rom schien es jetzt schwer eins zu werden. Ach, was für eine unheilvolle Stimme hatte dieser tote Fluß des Nachts! Kein Boot war sichtbar, kein Schauer der Handels- und Industriethätigkeit jener Gewässer, die dem Herzen großer Städte Leben zuführen! Zweifellos hatte man Pläne von Riesenarbeiten entworfen; Rom sollte Seehafen, das Flußbett so tief gegraben werden, daß große Schiffe bis zum Aventin gelangen könnten. Aber das waren nur Chimären. Und die andere Ursache der Agonie, die römische Campagna, die Todeswüste, die der tote Strom durchzog und Rom mit einem unfruchtbaren Gürtel umgab? Man sprach wohl davon, sie zu drainiren, sie zu bepflanzen und stritt vergeblich über die Frage, ob sie unter den Römern fruchtbar gewesen; Rom blieb nichtsdestoweniger inmitten seines riesigen Kirchhofes liegen, wie eine Stadt von einst, die durch diese Steppe für ewig von der modernen Welt getrennt ist. Die geographischen Ursachen, die ihm einst die Herrschaft über die bekannte Welt gaben, existiren heutzutage nicht mehr. Der Mittelpunkt der Zivilisation ist abermals verrückt worden; mächtige Nationen haben sich in das Mittelmeer geteilt. Alles führt nach Mailand, der Stadt des Handels und der Industrie, während Rom fortan nur ein Durchgangsort ist. Auch vermochten die heldenmütigsten Anstrengungen seit fünfundzwanzig Jahren es nicht aus seinem unbesiegbaren Schlafe zu reißen. Die Hauptstadt, die man allzu rasch aus dem Stegreif schaffen wollte, ist in Not stehen geblieben und hat beinahe die Nation zu Grunde gerichtet. Die Neugekommenen, die Regierung, die Kammern, die Beamten schlagen hier nur ein Lager auf und fliehen bei der ersten Hitze, um das tödliche Klima zu vermeiden; das geschieht in einem solchen Maße, daß die Hotels und die Geschäfte geschlossen werden, daß die Straßen und Promenaden sich leeren, da die Stadt kein wirkliches Leben erworben hat und in den Tod zurücksinkt, sobald ihr künstliches Leben sie verläßt. So harrt denn alles in dieser bloßen Zierhauptstadt, wo die Bevölkerung heute weder zu- noch abnimmt, wo es eines neuen Triebes von Geld und Menschen bedürfte, um die ungeheuren, nutzlosen Gebäude der neuen Viertel zu vollenden und zu bevölkern. Und wenn es wahr ist, daß das Morgen stets aus dem Staube der Vergangenheit wieder aufblühen wird, mußte man sich ja zur Hoffnung zwingen. Aber war dieser Boden nicht erschöpft? War der Saft, der gesunde Wesen, starke Nationen schafft, hier nicht auf immer versiegt?
    Je mehr die Nacht vorrückte, erloschen die Lichter in dem gegenüber liegenden Trastevere. Pierre, von Verzweiflung ergriffen, beugte sich noch lange über die schwarzen Wasser. Die Nacht war grundlos; in der tiefen Finsternis auf dem Janiculus blieb nichts übrig als die drei fernen Gashähne, das Sternendreieck. Kein Widerschein streifte mehr den Tiber mit einem Goldschauer; kein Widerschein ließ mehr die tragische Vision der fabelhaften Reichtümer unter seiner geheimnisvollen Strömung tanzen; es war nun aus mit der Legende, mit dem goldenen, siebenarmigen Leuchter, den goldenen Vasen, den goldenen Kleinodien, mit diesem ganzen Traum von dem alten Schatz, der in die Nacht versunken war wie der alte Ruhm Roms selbst. Kein Lichtschein, kein Geräusch, endloser Schlaf – nichts als das laute, schwere Herabstürzen der Traufe rechts, die nicht sichtbar war! Auch das Wasser war verschwunden; Pierre empfand nur noch sein bleischweres Dahinfließen im Dunkeln, das drückende Alter, die hundertjährige Ermüdung, die ungeheure Traurigkeit dieses uralten und glorreichen Tibers, der sich nach dem Nichts sehnte und

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