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Rom - Band III

Rom - Band III

Titel: Rom - Band III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola , A. Berger
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wahnbethörten Kindern das Evangelium ins Gedächtnis rufen, indem Sie sie zur Zeit der Einfachheit und Reinheit, da die ersten Christen als unschuldige Brüder mit einander lebten, zurückführen. – Nicht wahr, o Vater, nur deshalb haben Eure Heiligkeit sich mit den Armen wieder ausgesöhnt, nur deshalb bin ich hier, um von ganzem Herzen, o, mit meinem ganzen armen Menschenherzen Mitleid, Güte, Gerechtigkeit von Eurer Heiligkeit zu verlangen!«
    Aber nun erlag er der Aufregung und sank in einem Ausbruch lauten Schluchzens auf dem Boden zusammen. Sein Herz barst und ergoß sich. Es war ein ungeheures, ein endloses Schluchzen, eine fürchterliche Schlagwelle, die aus seinem ganzen Wesen hervorbrach. Sie kam noch von weiter her, von allen den unglücklichen Wesen, sie kam aus der Welt, deren Adern zugleich mit dem Lebensblut den Schmerz mit sich führen. Da lag der Abgesandte des Leides, wie er sich selbst genannt hatte, in seiner plötzlichen, nervösen Schwäche; und zu den Füßen dieses stummen, unbeweglichen Papstes lag mit ihm das ganze weinende Menschenelend.
    Leo XIII., der sehr gern sprach und stets eine Anstrengung über sich selbst machen mußte, um anderen zuzuhören, hatte zuerst zweimal eine seiner bleichen Hände erhoben, um ihn zu unterbrechen. Dann als er nach und nach von Erstaunen ergriffen, selbst von der Rührung angesteckt ward, ließ er ihn in der Regellosigkeit der unwiderstehlichen Flut, die ihn fortriß, weitersprechen, seinen Aufschrei zu Ende kommen. Etwas Blut war ihm in das schneeige Gesicht gestiegen, seine Lippen und Wangen hatten sich schwach gerötet, während seine Augen in noch lebhafterem Glanz leuchteten. Sobald er ihn so ohne Stimme zu seinen Füßen niedergeworfen sah, geschüttelt von dem lauten Schluchzen, das ihm das Herz herauszureißen schien, geriet er in Unruhe und beugte sich zu ihm herab.
    »Beruhigen Sie sich, mein Sohn, stehen Sie auf.« Aber das Schluchzen währte fort, überströmte und riß, eine rasende Klage der verwundeten Seele, das Murren des leidenden, ringenden Fleisches, alle Vernunft und allen Respekt mit sich fort.
    »Stehen Sie auf, mein Sohn, das schickt sich nicht. Da, setzen Sie sich auf diesen Stuhl.«
    Und mit einer gebietenden Geberde lud er ihn endlich ein, sich niederzusetzen.
    Pierre erhob sich mühsam; er setzte sich, um nicht zu fallen. Er strich sich das Haar aus der Stirn und wischte sich wie wahnwitzig mit den Händen die brennenden Thränen ab, indem er sich zu fassen suchte. Er konnte nicht verstehen, was vorgefallen war.
    »Sie rufen den heiligen Vater an. O gewiß seien Sie überzeugt, daß sein Herz voll von Mitleid und Zärtlichkeit für die Unglücklichen ist. Aber darum handelt es sich nicht, sondern um unsere heilige Religion. Ich habe Ihr Buch gelesen; ich sage es Ihnen gleich, es ist ein schlechtes Buch, das denkbar schlechteste und gefährlichste Buch und zwar gerade infolge seiner guten Eigenschaften, infolge der Stellen, die mich selbst interessirten. Ja, ich bin oft davon verführt worden; ich würde die Lektüre nicht fortgesetzt haben, wenn mich nicht der feurige Odem Ihres Glaubens und Ihrer Begeisterung gleichsam emporgetragen hätte. Der Gegenstand ist so schön und zieht mich so lebhaft an! »Das neue Rom!« O, zweifellos ließe sich unter diesem Titel ein Buch schreiben, aber in einem total andern Geiste! Mein Sohn, Sie glauben mich verstanden, sich in meine Schriften und Handlungen so eingelebt zu haben, daß Sie nur meine liebsten Ideen auszudrücken vermeinen. Nein, nein, Sie haben mich nicht verstanden und darum wollte ich Sie sehen, um Sie aufzuklären, zu überzeugen.«
    Jetzt hörte Pierre stumm und unbeweglich zu. Er war doch gekommen, um sich zu verteidigen, er hatte diese Unterredung seit drei Monaten fieberhaft herbeigewünscht und siegesgewiß seine Argumente vorbereitet; und nun hörte er wie sein Buch gefährlich, verdammungswürdig genannt wurde, ohne daß er dagegen protestirte, ohne daß er alle die guten Gründe vorbrachte, die er für unwiderstehlich hielt. Eine außerordentliche Mattigkeit drückte ihn nieder; er war von seinem Thränenausbruch gleichsam erschöpft. Aber gleich würde er wieder tapfer sein und sagen, was er beschlossen hatte, zu sagen.
    »Man versteht mich nicht, man versteht mich nicht!« wiederholte Leo XIII. mit gereizter, ungeduldiger Miene. »Besonders nicht in Frankreich. Es ist unglaublich, wieviel Mühe es mich kostet, mich dort verständlich zu machen! Zum Beispiel, die

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