Rom - Band III
eine Fingerspitze Staub, die man in alle Winde streut!«
Pierre ward unruhig, als er sah, wie er bebte und wie gelb sein Gesicht war.
»Nun, nun, mein Lieber, Sie übertreiben.«
»Ich übertreibe ... Wissen Sie, was heute nacht vorgegangen ist, welcher Scene ich wider Willen beiwohnte? Nein, nicht wahr? Nun, ich werde es Ihnen erzählen.«
Er berichtete, daß Donna Serafina, als sie tags zuvor zurückgekehrt war, um in die furchtbare Katastrophe, die sie erwartete, hineinzugeraten, bereits mit zerrissenem Herzen heimkehrte; sie war ganz gebrochen von den bösen Nachrichten, die sie erhalten hatte. Im Vatikan, beim Kardinalsekretär, dann bei den Prälaten ihrer Bekanntschaft hatte sie die Ueberzeugung gewonnen, daß die Lage ihres Bruders sich seltsam verschlimmerte, und daß er sich im heiligen Kollegium immer zahlreichere Feinde geschafft hatte, so daß seine, im Vorjahr noch wahrscheinliche Erhebung auf den päpstlichen Thron fortan unmöglich geworden zu sein schien. Der Traum ihres Lebens brach plötzlich zusammen; der Ehrgeiz, den sie stets genährt, lag in Staub zerfallen zu ihren Füßen, Wieso? Warum? Sie hatte sich verzweifelt nach den Beweggründen erkundigt und von allerlei Fehlern und Schroffheiten des Kardinals erfahren. Er hatte unpassende Kundgebungen gethan, Leute durch ein Wort, durch eine Handlung verletzt, kurz, eine so herausfordernde Haltung angenommen, daß man hätte meinen können, er thue es absichtlich, um alles zu verderben. Das schlimmste war, daß sie in jedem dieser Fehler Ungeschicklichkeiten erkannte, die sie selbst mißbilligt und abgeraten hatte, die aber ihr Bruder, unter dem uneingestandenen Einfluß des Abbé Paparelli stehend, eigensinnig doch begangen hatte. Sie ahnte in diesem so demütigen, so niedrigen Schleppträger eine unheilvolle Macht, den Zerstörer ihres eigenen, so wachsamen und ergebenen Einflusses. Darum hatte sie trotz der Trauer, in der das Haus sich befand, die Exekution des Verräters nicht verzögern wollen, um so mehr als seine alte Kameradschaft mit dem schrecklichen Santobono, die Geschichte mit dem Korb Feigen, der aus den Händen des letzteren in die Hände des ersteren übergegangen war, sie in einem Argwohn erstarren ließ, den sie nicht aufklären wollte. Aber gleich bei ihren ersten Worten, als sie die förmliche Forderung stellte, daß der Verräter zur selben Stunde vor die Thür gesetzt werde, war sie bei ihrem Bruder auf einen plötzlichen, unbesiegbaren Widerstand gestoßen. Er wollte sie nicht anhören, ward aufgebracht und geriet in einen jener orkanähnlichen Zornanfälle, deren Heftigkeit alles wegfegte. Er sagte, daß es sehr schlecht von ihr sei, einen so bescheidenen, so frommen, heiligen Mann anzugreifen, und beschuldigte sie, darin das Spiel seiner Feinde zu unterstützen, die, nachdem sie ihm Monsignore Gallo getötet, seine letzte Zuneigung für diesen armen, unbedeutenden Priester zu vergiften suchten. Er nannte alle diese Geschichten abscheuliche Erfindungen und schwur, ihn zu behalten, sei es auch nur, um seine Verachtung der Verleumdung zu zeigen. Und sie hatte schweigen müssen.
Don Vigilio hatte sich, wieder von Schauern ergriffen, von neuem mit beiden Händen das Gesicht bedeckt.
»Ach, Paparelli, Paparelli!«
Und er stammelte dumpfe Schmähungen: der verdächtige Gleisner, der Bescheidenheit und Demut heuchelte, der gemeine Spion, der den Auftrag hatte, alles im Palaste zu sehen, zu hören, zu verderben – das unreine, zerstörende Insekt, das die edelste Beute beherrschte, die Mähne des Löwen verzehrte – der Jesuit, der echte Jesuit, Knecht und Tyrann zugleich, in seiner niedrigen Abscheulichkeit, seiner triumphirenden Geschmeißarbeit!
»Beruhigen Sie sich, beruhigen Sie sich,« wiederholte Pierre. Trotzdem er die wahnsinnige Übertreibung berücksichtigte, überkam ihn selbst ein Schauer von dem furchtbaren Unbekannten, den drohenden und unbestimmten Dingen, die sich, wie er fühlte, wirklich in der Tiefe des Dunkels bewegten.
Aber seit Don Vigilio beinahe die schrecklichen Feigen gegessen hatte, seitdem der Blitz dicht neben ihm niedergefahren war, hatte er davon dieses Zittern, diesen Schrecken zurückbehalten, die nichts mehr beruhigen konnte. Selbst wenn er allein war, des Nachts, im Bette, bei verriegelter Thür, ergriff ihn die Angst, so daß er sich, seine Schreie erstickend, unter die Decken versteckte, als ob durch die Mauern Leute hereinkommen würden, um ihn zu erwürgen.
Atemlos, mit schwacher
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