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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Bo tius
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denn ihnen fehlten Köpfe und Gliedmaßen. Puppenkörper, wie große Maden geformt.
    Es war die verrückteste Gesellschaft, in der ich mich jemals befunden hatte. Ich war verwirrt, hatte das Gefühl, dass all diese Personen, diese Wesen aus Porzellan, Celluloid, Stoff, im nächsten Augenblick beginnen würden, mich auszulachen in einem nicht enden wollenden spöttischen Gelächter, als sich Gala mit seiner ruhigen, Gelassenheit ausstrahlenden Stimme zu Wort meldete: »Eindrucksvoll, finden Sie nicht, Doktor Hieronymus? Meine gute Franziska hat für ihren vergeblichen Kinderwunsch ein zugegebenermaßen fantastisches Ventil gefunden. Alle haben Namen, müssen Sie wissen. Alle sind echte Persönlichkeiten.«
    Er hob behutsam eine besonders große Puppe vom Sofa empor und legte sie mir in den Arm. Ich sah, wie sie die Augen schloss, und hörte das krächzende »Mama«. Vorsichtig, fast zärtlich strich Doktor Gala über ihren Bauch und setzte sie an ihren Platz zurück. »Kommen Sie«, sagte er, »das Essen ist bereit.«
    Im Labyrinth der Wohnung war eine Art offener Platz zwischen Küche, Flur und anderen Zimmern. Hier stand der Esstisch, umgeben von einer gepolsterten Bank. Franz Gala und ich nahmen Platz, während seine Frau die Speisen auftrug. Gala schenkte kühlen Schweizer Weißwein ein. Als Hauptgericht gab es gedünsteten Chicoree, mit Käse überbacken. »Es ist ihr Lieblingsgemüse«, erklärte Gala. Er sprach offenbar gerne von seiner Frau in der dritten Person, so, als sei sie nicht anwesend.
    Der Wein und die vorzüglich gekochten Speisen, alle vegetarisch, harmonierten wunderbar. Ich trank schnell, und Franz Gala schenkte mein Glas immer wieder voll. Ich hatte plötzlich das Bedürfnis, von Dale zu erzählen. Ich versuchte sie zu beschreiben und musste dabei feststellen, dass mir das seltsam schwer fiel. Ich redete ungeschickt von Sommersprossen, braunen Locken, die sich bei Nebel besonders fein und dicht zu kräuseln verstanden, ich faselte vom herben Charme der schottischen Highlanderinnen, von ihrem Akzent, ihrer Art, sich zu bewegen. »Es ist, als ob Dale immer bergauf geht. Auch wenn sie einen völlig ebenen Platz überquert.«
    Gala schien aufmerksam zuzuhören, während seine Frau abwesend wirkte. Plötzlich spürte ich ihren Fuß unter dem Tisch. Während sie mich mit einem sanften, wiederholten Druck berührte, sagte sie: »Ihre Freundin ist gewiss ein Mensch von großen Vorzügen. Aber sie macht vielleicht den Fehler, Männern zu sehr gefallen zu wollen.« Sie blickte mit ihren rauchgrauen Augen durch mich hindurch und verstärkte den Druck ihres Fußes.
    Gala sprach mich auf meinen Nachnamen an. »Wissen Sie, dass der heilige Hieronymus der Schutzpatron der Bibliothekare ist?«, sagte er. »Es gibt fast keine einzige Darstellung von ihm, in der er sich nicht mit einem Buch beschäftigt. Und ein Totenkopf ist auch immer mit von der Partie. Kennen Sie das herrliche Bild Dürers, das im Nationalmuseum in Lissabon hängt? Es zeigt einen ziemlich resigniert blickenden alten Mann vor einem aufgeschlagenen Buch, den Kopf in die rechte Hand gestützt. Der Zeigefinger der Linken ruht auf der Schläfe eines Schädels. Der Blick des heiligen Hieronymus ist voller Angst und Zweifel. Wer bin ich?, scheint er zu fragen. Berührt meine Hand nicht in Wahrheit diesen Totenkopf? Ich glaube, er ist in diesem Augenblick entschlossen, die Gelehrsamkeit aufzugeben und in die Wüste zu gehen. Wissen Sie, in die Wüste gehen ist keinesfalls wörtlich zu nehmen. Ihr Namensvetter zog sich vielmehr nur aus dem urbanen Leben zurück. Nur wenige Kilometer von der Stadt entfernt ließ er sich nieder, vermutlich in einer Villa, wo er mitsamt seinem Personal, seinen Dienern und seiner großen und wertvollen Bibliothek lebte. Am wichtigsten waren ihm wahrscheinlich seine Kopisten. Denn Bücher konnte man damals bekanntlich nicht kaufen. Man musste sie mühsam von Hand abschreiben lassen. Jedes Buch war dadurch sozusagen wieder ein Original, denn die Kopisten machten Fehler, veränderten eigenmächtig, hatten Vorlieben und Abneigungen gegen bestimmte Meinungen und Thesen. Vielleicht bestand die Wüste dieses Mannes aus lauter Buchstaben. Eine Papierwüste sozusagen.«
    Gala seufzte und blickte nun selbst sehr zweifelnd auf die zahllosen Bücher, die die Wände auch dieses Raumes bedeckten. Er stand auf und kam mit einer Flasche bestem Trester zurück. Während Franziska Gala sich weigerte mitzutrinken, sich stattdessen erhob und

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