Roman
hatte es schon genug Peinlichkeiten gegeben, und der Ärmste war völlig traumatisiert. Sicher hatte er Ginger gegenüber mal im Nebensatz erwähnt, dass er mich nett fände, und sie hatte in ihrer unnachahmlichen Art aus dieser beiläufigen Bemerkung eine Riesennummer gemacht. Lass es sein! Lass. Es. Sein.
»Warte!«, rief ich. Ich war im Seinlassen einfach nicht so gut. »Stimmt das, was Ginger vorhin gesagt hat?«
Red drehte sich um. Ich sah ihn nachdenklich an. Außen typisch schottisch. Attraktiv, unglaublich breite Schultern, Waschbrettbauch, T-Shirt, Jeans, Stiefel. In den letzten zehn Jahren hatte sich sein Stil kaum verändert – nur der Schnitt seiner Jeans und die Form seiner Stiefel hatten sich Modetrends und steigendem Einkommen angepasst. Das war mir nicht entgangen. Aber zurück zum Thema. Von außen war er durch und durch Macho, cool, ein Mann für den Augenblick, aber dahinter sah ich immer noch Red, Gingers großen Bruder, den Teenager, der uns aus der Patsche geholfen hatte, wenn wir in Schwierigkeiten steckten, der aber ansonsten viel zu cool gewesen war, um sich mit uns kreischenden Gören abzugeben.
»Ja.« Hatte ich erwähnt, dass er schon immer ein Mann weniger Worte gewesen war?
»Seit?«
»Dem Abend, als ich deinen Reifen gewechselt habe. Du hattest damals einen rosa Rock an und ein …«
Oh Gott! Ich riss die Hände vors Gesicht, um die Röte zu verdecken, die sich dort im Nu ausbreitete. »Sag nichts mehr! Ich kann mich noch gut daran erinnern. Es war eine absolute Horrornacht.«
»Danke!«
»Natürlich nicht wegen dir. Es war die Nacht als … oh nein, ich will gar nicht daran denken. Hättest du’s mir je gesagt?«
Er zuckte mit den Schultern. »Irgendwie gab es nie eine Gelegenheit. Ich war ja auch so weit weg.«
Okay, er hatte recht. Während eines unserer Gespräche an Gingers Bett hatte er mir von seinen letzten fünf Jahren erzählt. Er wohnte in Notting Hill und arbeitete als Fotograf für eine Londoner Tageszeitung. Sein Chef hatte ihm sofort Urlaub gegeben, damit Red bei seiner Schwester sein konnte, doch jetzt, wo sie über den Berg war, plante er, wieder nach London zurückzukehren. Er würde bald weg sein, und das störte mich auf einmal.
»Aber jetzt bist du hier«, sagte ich.
Gute Feststellung. Wo kam die her? Und woher hatte ich plötzlich diese Flirtstimme? Es war vollkommen ausgeschlossen, mit Red etwas anzufangen. So hatte ich ihn nie gesehen. Und er wohnte viel zu weit weg. Außerdem würde Ginger mich bei lebendigem Leib verspeisen. Aber irgendwie …
»Ja.«
Er nickte und kam auf mich zu. Oh Mist! Oh Mist! Oooooh! Mist! Ich könnte losrennen. Ich könnte lachen und sagen, er würde Witze machen. Wir würden zusammen lachen. Er würde sich verabschieden. Ich würde ihn weiterhin nur bei Hochzeiten, Beerdigungen und Komazuständen sehen. Oder ich könnte …
Er küsste mich. Mein Herz blieb stehen. Und von dem Augenblick an war die Sache zwischen uns klar. Eine Woche später kündigte er seinen Job, suchte sich beim Schwesterunternehmen des Verlags in Glasgow etwas Neues und zog bei mir ein. Ich bin nicht mal sicher, ob wir vorher darüber gesprochen hatten, aber es kam uns einfach alles so selbstverständlich vor. Perfekt. Und zwar nicht auf eine kitschige Weise, sondern auf eine angenehme, unbelastete Sei-genau-so-wie-du-bist-Weise. Ich musste mich nicht verstellen. So tun, als fände ich Dinge gut, die ich in Wahrheit verabscheute. Oder die Heldin spielen, wenn ich Angst hatte. Red nahm mich so, wie ich war. Keine Ansprüche, kein Stress, nur … Glück.
Irgendwie war das auf einmal ein wiederkehrendes Thema in meinem Leben.
Zwei dicke Spanierinnen in einem Kanu stießen versehentlich mit unserem Boot zusammen und holten mich in die sonnige, aber kühle New Yorker Märztagwirklichkeit zurück.
»Wie lange halte ich es inzwischen eigentlich schon mit dir aus?«, fragte ich ihn. Ohne den Hut zu verrücken, hatte er sich aufgerichtet und mir einen Kuss auf die Stirn gegeben. »Du bist ganz schön gelenkig.« Ich kicherte. »Mit diesen Talenten könntest du gut ein Superheld sein.«
Der Hut flog zur Seite, und sein Mund verzog sich zu diesem Grinsen, bei dem ich immer noch weiche Knie bekam.
»Morgen sind es genau vier Monate.«
»Nein! So lange schon? Nur noch zehn Jahre, dann hat sich Ginger an die Situation gewöhnt.«
»Meinst du?« Er lächelte immer noch.
»Hm! Vielleicht dauert’s auch noch ein bisschen länger.«
Ich beugte mich vor und
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