Roman
wieder draußen waren.
Fragen.
Hunderte von Fragen.
Die, die mir jeder stellte, der mit meinem Fall befasst war, und die mich jedes Mal innerlich zusammenzucken ließ, war diese: Waren Sie oft auf der Sonnenbank?
Ja. Ein paarmal in der Woche, drei Jahre lang. Genau genommen hatte ich zwischen achtzehn und einundzwanzig permanent so ausgesehen, als käme ich gerade aus Benidorm. Das war damals modern. Weiße Minikleider. Hochhackige weiße Sandaletten. Pinkfarbener Lipgloss. Braune Haut.
Damals hatte ich nicht die geringste Ahnung, dass Sonnenbänke schädlich sein können. Damals hätte ich behauptet, die größte Gefahr für mein Leben bestünde darin, den Inhalt der vier Dosen Haarspray einzuatmen, die ich jede Woche versprühte, damit meine Frisur aussah wie die von Cindy Crawford.
Aber Sonnenbänke? Die waren doch harmlos. Eigentlich sogar gesund. Schließlich sah man immer aus wie das blühende Leben. Ich habe nie einen Gedanken daran verschwendet, dass es falsch sein könnte, eine Hautfarbe zu haben, die dem dunklen Mahagoniton unseres Gartenhäuschens entsprach.
Zwanzig Jahre später war mir diese Unbekümmertheit von hinten in den Rücken gefallen. Wortwörtlich. Ab sofort dachte ich an nichts anderes mehr.
Mrs. Jones, wir haben nun die Ergebnisse der Biopsien, und unsere Befürchtungen haben sich leider bestätigt. Es handelt sich um ein malignes Melanom.
Hautkrebs. Und der Arzt hatte sofort vermutet, dass er auf die übermäßige Benutzung von Sonnenbänken zurückzuführen war.
Ich erinnere mich, einen Film über die Raumfähre Challenger gesehen zu haben. Sie war beim Start explodiert, und alle Astronauten waren ums Leben gekommen. Die Ursache? Eine defekte Dichtung. Sie war Jahre zuvor in dem Raumschiff eingebaut worden und hatte die ganze Zeit darauf gelauert, irgendwann Schaden anzurichten.
Das Melanom war meine defekte Dichtung.
Und jetzt saß ich hier, um zu erfahren, ob ich explodieren und verbrennen würde.
Das ursprüngliche Muttermal war entfernt worden, man hatte eine Biopsie vorgenommen, und die Ärzte hatten festgestellt, dass sie nicht das gesamte betroffene Hautgewebe entfernt hatten.
Weitere Haut war weggeschnitten und untersucht worden. Der Krebs war immer noch da.
Und so ging es weiter. Siebenmal insgesamt. Und jedes Mal wurde die Möglichkeit einer verhängnisvollen Diagnose wahrscheinlicher – die Krebszellen hatten auch die Lymphknoten befallen oder, schlimmer noch, die Leber, die Nieren, die Knochen, das Gehirn.
Verdammt, wo war dieses Verkehrshütchen, wenn ich es brauchte? Mein Herz schlug schneller, Schweißperlen bildeten sich in meinen Handflächen, auf meiner Stirn, in allen Hautfalten, die den plötzlichen Anstieg meiner inneren Temperatur, diese heiß glühende Angst nicht mehr aushielten.
Weitere Blutuntersuchungen, Computertomografien und eine Biopsie der Lymphknoten waren zwei Wochen zuvor erfolgt, und jetzt wartete ich, ob ich innerhalb von fünf Minuten wieder draußen sein würde oder zu den Patientinnen gehörte, für die weitere Therapiepläne, Strategien und Fragen erforderlich waren.
»Wenigstens hab ich mich für ein bisschen Farbe entschieden.«
Gingers süffisante Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
»Na ja«, zischte Josie, »es ist manchmal besser, gar nicht angezogen zu sein. Hast du den Ausdruck ›auf Jung machen‹ schon mal gehört?«
Eine Frau, die ein Stück weiter in der Reihe orangefarbener Plastikstühle saß, blickte zu den beiden gut erzogenen Kindern neben sich und dann kopfschüttelnd auf Ginger und Josie. Ich sah genau, dass sie dachte: Die beiden benehmen sich wie Achtjährige.
Unmittelbar nach der Diagnose hatte sich herausgestellt, dass Ginger den metaphorischen Tritt in den Melanomhintern so verarbeitete, wie sie alles andere verarbeitete: mit Shoppen. Seit Wochen kabbelte sie sich mit Josie deswegen. Offenbar waren die kleinen Beleidigungen und Beschimpfungen ihre Art der Angstbewältigung.
Mein Herz schlug noch ein bisschen schneller, als eine andere Patientin aus einem der Sprechzimmer kam. Tränen liefen ihr über die Wangen, ein großer Mann, dem die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben stand, stützte sie. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen.
Ein Ort des Glücks – es war höchste Zeit für einen Ort des Glücks.
An alle Menschen in Westschottland, die Trost oder Informationen zum Thema Krebs suchen: Sämtliche Literatur zum Thema liegt auf meinem Küchentisch. Irgendwo in diesem Riesenberg aus Fakten und
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