Roman
hören?«
Ich holte tief Luft und trommelte leise mit den Fingern auf den Tisch.
Sie seufzte tief. »Oh nein! Was haben sie dieses Mal Schreckliches von sich gegeben?«
»Mum ist immer noch beleidigt, weil sie nicht die Erste war, die von meinem Hautkrebs erfahren hat, und Dad sagt, ich habe sie hintergangen, und zum Glück habe sie ihn, denn er sei der einzige Mensch auf der Welt, der sie nun trösten könne. Lizzy, mach den Mund zu!«
Kichernd sah ich, wie sie völlig fassungslos neben mir auf den Stuhl sank. Es dauerte ungefähr zwanzig Sekunden, bis sie die Sprache wiedergefunden hatte.
»Sie sind wirklich unübertrefflich. Oh Gott, Lou, du tust mir so leid. Es grenzt echt an ein Wunder, dass du kein emotionaler Krüppel geworden bist. Tut das nicht weh?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Der liebe Gott hat mir ja zum Ausgleich Josie geschickt. Nein, es tut nicht wirklich weh. So sind meine Eltern nun mal. So waren sie immer, und ich weiß nicht, ob ich noch möchte, dass sie sich ändern. Es ist, wie es ist, ich brauche sie nicht.«
Das war kein falsches Heldentum. Ich hatte mich längst damit abgefunden, dass meine Eltern so waren, wie sie waren, und sie durch Menschen ersetzt, denen ich tatsächlich etwas bedeutete. Und dank Josie hatte ich den Kreislauf unterbrechen können. Von ihr hatte ich gelernt, was Liebe und Fürsorge bedeuten, sodass meine eigene Vorstellung vom Elternsein ganz anders war als die von Dave und Della Cairney. Ich würde meine Tochter nie im Stich lassen, ganz gleich, wie alt sie war. Ich würde sie bis ans Ende der Welt beschützen. Ich würde ihr an jedem Tag ihres Lebens das Gefühl geben, dass ich sie liebte, von ganzem Herzen – auch wenn sie mit fünfzehn heimlich einen Laternenpfahl vor ihrem Zimmerfenster herunterrutschte, um mit dem süßesten Jungen aus der Stadt verbotene Dinge zu tun. Obwohl … Vielleicht sollte ich mir das Recht vorbehalten, sie bis dreißig für alles, was mit Laternenpfählen, Fluchtversuchen oder Körperkontakten zu männlichen Wesen zu tun hat, unter Hausarrest zu stellen.
Ich hörte, wie die Haustür auf und wieder zuging. »Wenn das Cilla Black ist, die mich mit Dave und Della wiedervereinigen will, werde ich dir das nie verzeihen«, zischte ich Lizzy zu.
Ben und Alex kamen herein. Sie waren die beiden am wenigsten tuntig aussehenden Schwulen, die ich kannte. Beide trugen weiße T-Shirts und Jeans und waren so männlich und sexy, dass sie auf fünfzig Schritte eine Nippelerektion auslösen konnten. Kein Zweifel: Das Coming-out der beiden war ein echter Verlust für die Welt der Frauen gewesen.
»Ist es falsch, dass ich total auf dich stehe?«, fragte ich Alex, als er mich endlich aus seiner Umarmung entließ.
»Nö«, antwortete er augenzwinkernd. »Zwingend.«
Die beiden bestaunten ein paar Minuten ihr schlafendes Kind, bis sie enttäuscht feststellten, dass es ihnen nicht den Gefallen tun würde, wach zu werden. An diese Phase konnte ich mich noch gut erinnern. Sie endete, als Cassie laufen lernte und von dem Augenblick, als sie aufwachte, bis zu der Sekunde, in der sie abends ins Bett ging, das Haus unsicher machte. Ich konnte mich nicht erinnern, dass mein Hintern in den darauf folgenden drei oder vier Jahren jemals Kontakt zu einem Stuhl gehabt hatte.
»Wo ist Cassie?«, fragte Ben, der offensichtlich beleidigt war, dass nicht mal seine Lieblingsnichte (zugegeben, es gab auch keine Konkurrenz, da er und Lizzy beide Einzelkinder waren) kam, um ihn zu begrüßen.
»Draußen im Garten. Sie spielt mit Holly Tennis.« Lizzys und Bens gemeinsame vierzehnjährige Tochter zeigte im Umgang mit einer lauten, dickköpfigen Sechsjährigen erstaunlich viel Geduld.
»Bist du wirklich sicher, dass wir noch zum Essen bleiben sollen?«, fragte ich Lizzy, die gerade in den Ofen schaute, und hoffte im Stillen, dass das Angebot weiter galt.
Ein dumpfes Murmeln kam aus dem Backofen, das sich anhörte wie eine Bestätigung. Im selben Moment hörten wir Schritte in der Diele. Dieses Mal streckte Red seinen Kopf zur Tür herein. Er hatte die letzten drei Tage damit verbracht, durch die Fußballstadien des Landes zu touren, um ein Feature über … über … ich hatte keine Ahnung worüber zu machen. Die Zeitung schickte ihm seine Aufträge jede Woche per E-Mail, und ich druckte die Liste aus, hängte sie in der Küche an die Pinnwand und plante unser Leben um diese Termine herum.
Als bei mir der Krebs diagnostiziert worden war, hatte er beschlossen,
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