Roman
beruflich etwas kürzerzutreten, aber ich hatte ihn umgestimmt. Ich bat ihn, weiter voll zu arbeiten, weil wir eine Tochter großzuziehen hatten, eine Hypothek abzahlen mussten und für den nächsten Urlaub sparen wollten. Aber ich glaube, er wusste, dass in Wahrheit etwas ganz anderes dahintersteckte. Wenn wir unser Leben verändert hätten, hätte dies bedeutet, zuzugeben, dass etwas nicht in Ordnung war, und ich war noch nicht bereit, das zu tun. Normalität. Wir mussten so normal wie möglich weiterleben.
An der Tür rumorte es.
»Wer kommt denn jetzt noch? Hast du seit neuestem eine Restaurationslizenz für deine Küche?«
Lizzy drückte mir ein Glas Wein in die Hand, vermutlich, damit ich nicht weiterfragte. Red ließ sich auf den Stuhl neben mir fallen und zog mich an sich, um mich lange und intensiv zu küssen.
»Hört sofort damit auf, sonst kann ich für nichts garantieren.«
Ich zuckte zusammen. War der Wein so stark, dass ich schon Stimmen hörte? Das war mein erster Gedanke. Mein zweiter Gedanke war, dass es wirklich blöd wäre, wenn ich jetzt auch noch eine Alkohol- und Stresspsychose entwickelte und ständig Gingers Gekreische in den Ohren hätte. Johnny Depp? Okay. Brad Pitt (bevor er Jennifer verlassen hatte und mit Angelina auf und davon gerannt war und offenbar aufgehört hatte, sich zu waschen). Absolut! Vielleicht auch noch Jon Bon Jovi. Das waren alles durchaus akzeptable Formen von Trunkenheitsfantasien. Aber Gingers Herumkommandiererei? Die machte einen ja schon im nüchternen Zustand fertig.
Ich löste mich von meinem Ehemann und drehte mich um. An der Tür standen Ginger, Ike, Josie und Avril – Erstere in einem Kunstpelzmantel, der ihr bis zu den Füßen reichte und so wuschelig war wie ihre Haare. Im Dunkeln sah sie sicher aus wie ein Yeti.
Mein verwirrter Blick ging von Yeti zu Lizzy zu Yeti zu Lizzy, die die Situation schließlich aufklärte. »Ich weiß, du hasst Überraschungen, aber wir haben uns überlegt, heute Abend ein kleines Event für dich zu veranstalten.«
Mein Unterkiefer klappte nach unten.
»Aber warum?«
»Weil wir wissen, dass du einen schweren Monat vor dir hast, und es nur eine Möglichkeit gibt, dich physisch, mental und spirituell darauf einzustellen.«
Oh Gott, was kam jetzt? Egal, was es war, wenn Meditation, Gesang oder ein Nacktreinigungsritual darin vorkamen, dann war ich weg. Aber nein, ich war undankbar. Offenbar hatten sich alle viel Mühe gegeben und diesen Abend extra für mich geplant. Wie glücklich konnte ich mich schätzen, solche Freunde zu haben. Ich wappnete mich innerlich, nahm mir vor, tapfer zu sein, ganz gleich, was nun folgte. Irgendwo hatte ich gelesen, dass Aromatherapien sehr wohltuend waren. Genau wie Akupunktur (obwohl ich Josie mit ihren Stricknadeln auf keinen Fall an mich ranlassen würde), Hypnose und diese ganzen anderen fernöstlichen Techniken.
Was auch immer es war, ich würde es ausprobieren.
Lizzy räusperte sich. »Daher haben wir beschlossen, zusammen zu essen und uns danach für den Rest des Abends therapeutischen Aktivitäten zuzuwenden.«
Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Josie den Arm langsam hinter dem Rücken herzog. Oh nein, die Stricknadeln! Was sollte sie sonst in der Hand halten, das zu meinem körperlichen, mentalen und spirituellen Wohlbefinden beitragen könnte?
Ich warf einen Blick zur Tür und bereitete mich auf eine Flucht vor, falls Josie das, was sie in der Hand hielt, in meine Richtung bewegen würde. Nach kurzfristiger Irritation erkannte ich, dass es ein pinkfarbenes Mikrophon mit Strassgriff war.
»Wärm deine Lungen auf, Schätzchen – du bist die Erste beim Karaoke.«
Lektion 143
Mit den Worten der Pfadfinder und der akribischen Planer: allzeit bereit
»Mrs. Jones?«
Die Krankenschwester hatte meinen Namen noch nicht zu Ende ausgesprochen, als ich schon auf den Beinen war. Josie und Ginger folgten im Bruchteil einer Sekunde. Okay, ich war bereit. Ich schaffte das. Ich war bereit, hineinzugehen und mich dem Urteilsspruch zu stellen, ganz gleich, wie er ausfiel. Ich schaffte das. Ich …
»Es tut mir sehr leid, Mrs. Jones, aber wir hatten heute einige Notfälle. Wir werden Sie so schnell wie möglich hereinrufen.«
Also wartete ich weiter.
Langsam sanken wir zurück auf unsere Stühle. Wenn Josies und Gingers Herzen genau so rasten wie meins, brauchten wir alle jetzt erst mal Zeit, um uns zu erholen.
Gott, war das quälend!
Die Schwester hatte mich aus meinem Ort des Glücks
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