Roman
ein Riese aus Versehen mitten in London stehen gelassen hat. Hier gibt es einen Laden, der vierundzwanzig Stunden geöffnet hat, und Wayne parkt davor. »Sollen wir etwas einkaufen?«, fragt er. »Für das Picknick im Park?«
Wir parken und gehen rein, aber ich kann meinen Helm nicht abnehmen, also gehe ich durch diesen hell erleuchteten Supermarkt und sehe aus und fühle mich wie ein Astronaut, der gerade auf der Erde gelandet ist.
»Äh, Wayne? Ich kriege meinen Helm nicht ab.«
Doch meine Stimme klingt gedämpft unter dem Visier. Er kann mich nicht hören, und so gebe ich es einfach auf. Erst als ich in der Schlange an der Kasse hinter ihm stehe, merkt er es und lacht sich kaputt.
»Du warst die ganze Zeit im Laden und konntest den Helm nicht abnehmen?«
»Ich habe versucht, es dir zu sagen.«
Wir verstauen die Einkäufe in den Transportboxen hinten am Motorrad und fahren weiter, über die Westminster Bridge und an den Houses of Parliament vorbei, hinter denen jetzt eine rote Sonne wie ein Heißluftballon steht. Wir umarmen beinahe die Winston-Churchill-Statue, so schräg fahren wir über den Westminster Place. Ein paar Demonstranten gegen den Irakkrieg campieren vor dem Parlament. Ein junges Mädchen ruft uns etwas aus dem Fenster einer pinkfarbenen Limousine zu. Ausländische Studenten machen Fotos von sich selbst vor irgendwelchen wichtigen Gebäuden. Überall erklingen die Geräusche der Stadt: das ständige Hupen, das vergaste, keuchende Seufzen der Busse, wenn sie stehen bleiben und dann weiterfahren – es ist ein großes, pulsierendes Herz, in dessen Mitte wir uns befinden.
Schließlich erreichen wir den St James Park, wo wir unter einer Trauerweide picknicken. Der Buckingham Palace ist über den Bäumen gerade noch zu erkennen. Jetzt ist alles still, aber der Klang der Reise hallt noch in meinen Ohren.
Nach dem Essen legen wir uns beide ins Gras. Wayne verschränkt die Arme über seinem Bauch. Sie sind muskulös, und ich starre sie an. Ich beobachte, wie seine Brust sich hebt und senkt, wie seine Augenlider sich bewegen, wie das Mondlicht darauffällt. Sein Mund ist groß und leicht geöffnet, als wollte er mich dazu einladen, ihn zu küssen. Du bist zum Anbeißen, denke ich. Es ist, als wäre dieser Gedanke ständig irgendwo unter der Oberfläche gewesen und hätte sich erst jetzt wirklich herauskristallisiert. Ein bisschen Knutschen wäre schön, denke ich, einfach meine Lippen auf seine zu legen und ihn zu schmecken. Aber da er fahren muss und ich beschlossen habe, dass es irgendwie falsch wäre, mich allein zu betrinken, sind wir stocknüchtern. Beherrsch dich, Steele. Stähle dich …
Nr. 4: Stelle offene Fragen …
»Also«, seufze ich.
Wayne lächelt, ohne die Augen zu öffnen.
»Wer ist Justine? Erzähl mir von Justine.«
»Ah, das«, sagt er und streicht über sein Tattoo. »Meine Kriegsnarbe. Justine war meine Verlobte.«
»Du warst verlobt?« Ich stütze mich auf meine Ellbogen, und er öffnet ein Auge.
»Guck nicht so überrascht.«
»Und was ist passiert?«
»Sie hat mich verlassen. Drei Monate vor der Hochzeit.«
»Oh.« Ich rutsche auf dem Gras herum und spüre, wie mein Herz klopft. »Warum?«
»Sie hat mich einfach nicht mehr geliebt – unglaublich, ich weiß, aber wir wollten einfach unterschiedliche Dinge. Sie war nicht die Richtige für mich, und es ist okay, ich bin inzwischen über sie hinweg.«
»Du musst doch völlig verzweifelt gewesen sein! Hast du sie sehr geliebt? Wie lange wart ihr zusammen?«
»Oh Mann, das sind drei Fragen, und die Antworten lauten ja, ja und acht Jahre.«
Acht Jahre?
»Aber wie ich schon sagte, wir passten nicht zusammen. Die Trennung war das Beste, was mir passieren konnte, obwohl ich das damals noch nicht erkannt habe.«
Ich möchte ihm Fragen über Fragen stellen, denke an Martin und mich. Würde Martin das mit der Zeit auch so sehen? Ich hoffe es.
Wayne hält inne und sieht mich mit seinen intelligenten, grünen Augen an.
»Ich habe früher auch immer diese Listen geschrieben«, erzählt er. »Endlose Listen über meine Zukunft. Schon als Kind schrieb ich Listen, über dämliche Sachen wie ›Autos, die ich in meinem Leben besitzen werde, aufsteigend in der Reihenfolge des Preises‹.«
»Wie Kevin Hart«, sage ich.
»Ja. Wie Kevin Hart. Aber als ich dann älter wurde und vor allem als ich mit Justine zusammen war, wurden diese Sachen-die-ich-tun-will-Listen zu einer Besessenheit. Doch nach einer Weile erkannte ich, dass ich
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