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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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schon reglos in Reih und Glied standen, konnte ich auch sehen, dass er auf seine Art ein schöner Mann war, mit abgehärteten und gewinnend männlichen Zügen, alles in allem ein bisschen an die Helden im Film erinnernd, mit einem modisch geschnittenen, schmalen braunen Schnurrbart, der sehr gut zu dem sonnengebräunten Gesicht passte. Als er herangekommen war, hat uns ein Befehl der Gendarmen alle starr stehen lassen. Von allem, was danach kam, sind mir bloß zwei schnell aufeinanderfolgende Eindrücke geblieben: die krächzende, mehr oder weniger an einen Marktschreier erinnernde Stimme des Gestiefelten, die mich bei seinem sonst so gepflegten Äußeren dermaßen verblüfft hat, dass ich mir vielleicht schon deswegen nicht viel von seinen Worten gemerkt habe. So viel jedenfalls habe ich verstanden, dass er die «Untersuchung» – diesen Ausdruck hat er verwendet – in unserer Angelegenheit erst morgen durchzuführen gedachte, darauf hat er sich sogleich an die Gendarmen gewandt und ihnen mit einer über den ganzen Platz tönenden Stimme befohlen, sie sollten «dieses ganze jüdische Gesindel» dorthin bringen, wo es seiner Meinung nach eigentlich hingehöre, nämlich in den Pferdestall, und es dort über Nacht einsperren. Und der zweite Eindruck war das unübersichtliche, von lauten Befehlen erfüllte Durcheinander, das sofort darauf eintrat, die gebrüllten Anweisungen der plötzlich in Schwung versetzten Gendarmen, die uns wegtrieben. Ich wusste auf einmal gar nicht mehr, wo mir der Kopf stand, und ich erinnere mich nur daran, dass ich die ganze Zeit fast auch ein bisschen lachen musste, einerseits vor Staunen und Verlegenheit, aus dem Gefühl, plötzlich in irgendein sinnloses Stück hineingeraten zu sein, in dem ich meine Rolle nicht recht kannte, andererseits wegen einer flüchtigen Vorstellung, die mir gerade so durch den Sinn huschte: das Gesicht meiner Stiefmutter, wenn sie heute Abend merken würde, dass sie mit dem Abendessen umsonst auf mich wartete.

4
    Am meisten mangelte es in der Eisenbahn an Wasser. Lebensmittel schienen, alles eingerechnet, für lange Zeit zur Genüge vorrätig zu sein; aber wir hatten eben nichts zum Trinken dazu, und das war doch recht unangenehm. Die in der Eisenbahn haben gleich gesagt: Der erste Durst, das ist bald vorüber. Schließlich hätte man ihn schon fast vergessen, erst da trete er von neuem auf – bloß lasse er dann kein Vergessen mehr zu, erklärten sie. Sechs, sieben Tage – behaupteten die Sachverständigen –, das sei die Zeit, die man im Notfall, und auch das warme Wetter eingerechnet, ohne Wasser überstehen könne, vorausgesetzt, man sei gesund, verliere nicht zu viel Schweiß und esse kein Fleisch und keine Gewürze. Vorläufig – so redeten sie uns zu – hätten wir noch Zeit; alles hinge davon ab, wie lange die Reise dauern werde, sagten sie noch. Tatsächlich war ich selbst auch neugierig darauf: In der Ziegelei hatten sie das nicht mitgeteilt. Insgesamt hatten sie nur so viel verlauten lassen, dass jeder, der Lust habe, sich zur Arbeit melden könne, und zwar in Deutschland. Den Gedanken fand ich, genauso wie die übrigen Jungen und viele andere in der Ziegelei, sofort reizvoll. Überhaupt – so sagten es die durch Armbinden kenntlich gemachten Leute von einer gewissen Körperschaft, die sich «Judenrat» nannte – so oder so, willig oder nicht willig, wir alle würden auf jeden Fall früher oder später aus der Ziegelei nach Deutschland ausgesiedelt, und denen, die sich als Erste freiwillig meldeten, würde ein besserer Platz zuteil und dazu noch die Vergünstigung, dass sie insgesamt zu sechzig in einem Wagen reisen könnten, während später wenigstens achtzig Platz finden müssten, wegen der ungenügenden Anzahl von Zügen, die zur Verfügung standen – wie sie es jedermann erklärten: Das ließ der Überlegung in der Tat nicht mehr viel Raum, wie auch ich fand.
    Aber auch die Richtigkeit der anderen Gründe hätte ich nicht anfechten können, welche sich auf die engen Verhältnisse in der Ziegelei, ihre Folgen auf dem Gebiet der Gesundheit sowie die wachsenden Probleme in der Lebensmittelversorgung bezogen: Es war so, das konnte auch ich bezeugen. Schon als wir, von der Gendarmerie kommend, dort eintrafen (von den Erwachsenen hatten verschiedene festgestellt, dass die Kaserne «Gendarmeriekaserne Andrássy» hieß), fanden wir jeden Winkel der Ziegelei mit Menschen vollgestopft, sowohl Männer als Frauen, Kinder jeden Alters und zahllose

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