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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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Alte beiderlei Geschlechts. Wohin ich auch trat, stolperte ich über Decken, Rucksäcke, allerlei Koffer, Packen, Bündel. Das alles, und dann auch die vielen kleinen Klagen, Bosheiten und Keifereien, die offenbar mit einem solchen gemeinschaftlichen Leben unvermeidlich einhergehen, haben mich natürlich bald ermüdet. Dazu kam die Untätigkeit, das dumme Gefühl des Stillstands, ja und dann die Langeweile; deshalb erinnere ich mich an die fünf Tage, die ich hier verbracht habe, auch nicht einzeln, doch selbst im Ganzen weiß ich von ihnen nur noch ein paar wenige Einzelheiten. Auf jeden Fall das noch, die Erleichterung, dass auch die Jungen da waren: «Rosi», der «Halbseidene», der «Zierlederer», der ewige Raucher, Moskovics und all die anderen. Wie mir schien, fehlte keiner: Auch sie waren also alle anständig geblieben. Mit den Gendarmen hatte ich in der Ziegelei kaum noch zu tun: Ich sah sie eher auf der anderen Seite des Zauns, wo sie Wache hielten, da und dort vermischt mit Polizisten. Von diesen war dann in der Ziegelei die Rede, nämlich dass sie mehr Einsehen hätten als die Gendarmen und auch ganz gern zu Menschlichkeit neigten, und zwar nach vorheriger Vereinbarung, sei es in Form von Geld oder sonst irgendeiner Wertsache. Hauptsächlich – so hörte ich – erhielten sie zahlreiche Aufträge zum Weiterleiten von Briefen und Botschaften, ja, es eröffneten sich dank ihrer sogar, so wollten einige durchaus wissen, auch im Bereich der Flucht gewisse – allerdings, wie hinzugefügt wurde: seltene und riskante – Gelegenheiten; etwas ganz Genaues darüber zu erfahren wäre für mich schwer gewesen. Aber ich glaube, da habe ich ein bisschen genauer verstanden, worüber der Mann mit dem Seehundgesicht im Zollhaus so dringend mit dem Polizisten sprechen wollte. Und so habe ich dann auch in Erfahrung gebracht, dass unser Polizist demnach anständig gewesen war. Dieser Sachverhalt erklärt sich aus dem Umstand, dass ich in der Ziegelei, während ich auf dem Hof herumhing oder in der Nähe der Kantine Schlange stand, unter den vielen durcheinanderwogenden fremden Gesichtern ein-, zweimal auch den Mann mit dem Seehundgesicht wiedererkannt habe.
    Von den Zollhäuslern habe ich auch noch den Pechvogel wiedergesehen: Er saß oft bei uns, der «Jugend», um sich «ein bisschen aufzuheitern» – wie er sagte. Er hatte dort irgendwo, in unserer Nähe, eine Unterkunft gefunden in einer der zahlreichen gleichförmigen Baulichkeiten auf dem Hof, die mit Ziegeln gedeckt, sonst aber nach allen Seiten offen waren und, wie ich hörte, ursprünglich eigentlich zum Trocknen der Ziegel dienten. Er schien ein bisschen mitgenommen, mit Schwellungen und den mehrfarbigen Flecken von Prellungen im Gesicht, und wir haben dann von ihm erfahren, dass das alles noch von der Untersuchung auf der Gendarmerie herstammte: Man hatte nämlich in seinem Rucksack Medikamente und Lebensmittel gefunden. Umsonst habe er zu erklären versucht, es handle sich um Ware aus alten Beständen und sei ausschließlich für seine schwerkranke Mutter bestimmt: Sie hatten ihn beschuldigt, dass er ganz offensichtlich damit auf dem Schwarzmarkt Handel treibe. Es nützte nichts, dass er seine Bewilligung hatte, und es nützte auch nichts, dass er noch nie auch nur gegen einen Buchstaben des Gesetzes verstoßen hatte, wie er erzählte. «Haben Sie etwas gehört? Was geschieht mit uns?», pflegte er sich zu erkundigen. Er brachte auch wieder seine Familie zur Sprache, ja, und auch wieder sein Pech. Wie lange hatte er sich um die Bewilligung bemüht und wie sehr hatte er sich über sie gefreut – erinnerte er sich mit bitterem Kopfschütteln; das hätte er gewiss nicht gedacht, dass die Sache «ein solches Ende» nehmen würde. An jenen fünf Minuten habe alles gelegen. Wenn er nicht das Pech gehabt hätte … wenn der Bus nicht … solche Überlegungen vernahm ich von ihm. Mit der Züchtigung hingegen schien er im Großen und Ganzen eher zufrieden. «Ich war am Schluss dran, und das war vielleicht ein Glück», erzählte er, «da hatten sie es schon eilig.» Alles in allem «hätte es ihm auch übler ergehen können» – so hat er es zusammengefasst und hinzugefügt, er habe auf der Gendarmerie «Schlimmeres gesehen», und das stimmte auch, wie ich mich selbst erinnerte. Niemand solle glauben – so hatten die Gendarmen am Vormittag der Untersuchung gewarnt –, dass er etwas vor ihnen verbergen könnte, weder seine Schuld noch Geld oder Gold- und

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