Roman eines Schicksallosen (German Edition)
dann feststellen konnte. Als wir nämlich die Brücke hinter uns gelassen hatten, sind wir hier und da, in einer Kurve oder an einer Kreuzung, mit anderen Gruppen zusammengetroffen, die sich ebenfalls aus soundso viel Leuten mit gelbem Stern und einem, zwei, ja in einem Fall sogar drei Polizisten zusammensetzten. Bei einer solchen Gruppe habe ich auch den Polizisten mit dem Fahrrad erkannt. Ich habe auch bemerkt, dass sich die Polizisten bei dieser Gelegenheit immer nur ganz knapp, sozusagen dienstlich begrüßten, so als ob sie schon vorher mit dem Treffen gerechnet hätten, und erst da habe ich die geschäftlichen telefonischen Erledigungen unseres Polizisten von vorhin verstanden: Sie hatten also wohl jeweils die Zeitpunkte festgelegt, scheint mir. Schließlich fand ich mich inmitten einer schon recht ansehnlichen Marschkolonne, und zu beiden Seiten flankierten Polizisten in eher kürzeren Abständen unseren Zug.
So sind wir, immer auf der Fahrbahn, ziemlich lange marschiert. Es war ein schöner, klarer Sommernachmittag, auf den Straßen eine bunte Menge, wie immer um diese Stunde; doch ich nahm das alles ein bisschen verwischt wahr. Ich habe dann auch bald die Orientierung verloren, da wir zumeist auf Chausseen und Straßen gingen, die ich nicht recht kannte. Und dann wurden es ja ständig mehr Straßen, und der Verkehr und vor allem das beschwerliche Vorwärtskommen, wie das bei einer geschlossenen Marschkolonne unter solchen Umständen nun einmal ist, haben meine Aufmerksamkeit ziemlich in Anspruch genommen und bald erschöpft. Was ich von dem ganzen langen Weg noch weiß, ist eigentlich nur diese hastige, zögernde, in gewisser Weise fast schon verstohlene Neugier, mit der die Fußgänger von den Gehsteigen auf unseren Zug blickten (zu Beginn amüsierte es mich, mit der Zeit achtete ich dann kaum noch darauf) – ja und dann noch ein späterer Moment, der einigermaßen verworren ist. Wir waren gerade auf einer breiten, äußerst belebten Vorortstraße unterwegs, überall um uns herum ein dichter, unerträglich lärmender Verkehrsstrom; ich weiß gar nicht, wie sich an einer bestimmten Stelle, nicht weit vor mir, eine Straßenbahn in unseren Zug hatte hereinkeilen können. Uns blieb nichts übrig, als stehen zu bleiben, um sie durchzulassen – und da wurde ich auf das plötzliche Aufblitzen eines gelben Kleidungsstücks aufmerksam, da vorn, in einer Wolke von Staub, Lärm und Ausdünstung: Der «Reisende» war es. Ein einziger langer Satz, und schon war er untergetaucht, seitlich irgendwo, im Strudel der Menschen und Wagen. Ich war ganz verblüfft: Das alles passte irgendwie nicht so recht zu seinem Verhalten im Zollhaus, fand ich. Aber gleichzeitig empfand ich noch etwas anderes, ich war irgendwie angenehm überrascht, wie einfach diese Handlung war: Und tatsächlich, dann sah ich, wie ein, zwei unternehmungslustige Geister dort vorn gleich loszogen, ihm nach. Auch ich habe mich umgeschaut, zwar eher, wie soll ich sagen, des Spieles halber – denn schließlich sah ich ja keinen Grund, mich aus dem Staub zu machen –, und ich glaube, ich hätte sogar genug Zeit dazu gehabt: Aber dann hat sich der Anstand in mir doch als stärker erwiesen. Danach sind die Polizisten auch gleich eingeschritten, und die Reihen um mich herum haben sich wieder geschlossen.
Eine Zeit lang sind wir noch weitermarschiert, und dann ist alles ganz schnell, unerwartet und ein wenig überraschend abgelaufen. Wir sind irgendwo abgebogen, und wie ich sah, mussten wir am Ziel angekommen sein, denn die Straße führte zwischen den weit offenen Flügeln eines Tors hindurch. Erst dann bemerkte ich, dass hinter dem Tor anstelle der Polizisten bereits andere an unsere Seite getreten waren, gekleidet wie Soldaten, aber mit bunten Federn an den Schirmmützen: Gendarmen. Sie führten uns durch ein Labyrinth von grauen Gebäuden, immer weiter hinein, bis zu einem sich plötzlich öffnenden, mit weißem Schotter bestreuten riesigen Platz – eine Art Kasernenhof, wie mir schien. Und zugleich erblickte ich die hohe, gebieterisch aussehende Gestalt eines Mannes, der vom gegenüberliegenden Gebäude her direkt auf uns zukam. Er trug hohe Stiefel und eine enganliegende Uniform mit goldenen Sternen und einen Lederriemen quer über der Brust. In einer seiner Hände sah ich ein dünnes Stöckchen, von der Art, wie man sie beim Reiten benutzt, mit dem er sich fortwährend gegen den lackglänzenden Stiefelschaft klopfte. Einen Moment später, als wir
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