Roman eines Schicksallosen (German Edition)
SS-Mann zuteil geworden sind, sondern einen Soldaten in gelber Uniform, der, so hörte ich, einer etwas undurchsichtigeren Organisation namens «Todt», einer Art Arbeitsaufsicht, angehörte. Er war gerade anwesend und sah – begleitet von was für einer Stimme, von was für einem Sprung –, wie ich den Zementsack fallen ließ. Tatsächlich, Zementschleppen war in jedem Kommando – völlig zu Recht, wie auch ich fand – nur mit der Freude zu begrüßen, die seltenen Gelegenheiten gebührt und die man sich auch untereinander kaum eingesteht. Man neigt den Kopf, jemand lädt einem den Sack auf den Nacken, man wandert zu einem Lastwagen, dort nimmt einem ein anderer den Sack wieder ab, dann trottet man mit einem schönen großen Umweg, dessen Grenzen von den augenblicklichen Gegebenheiten gesteckt sind, wieder zurück, und im Glücksfall stehen vor einem sogar noch welche an, sodass man noch mehr Zeit herausschinden kann bis zum nächsten Sack. Nun wiegt so ein Sack insgesamt etwa zehn bis fünfzehn Kilo – ein Kinderspiel unter heimischen Verhältnissen, da könnte ich sogar noch Ball damit spielen: Hier aber stolperte ich, ließ ihn fallen. Und vor allem sprang auch das Papier des Sackes auf, und der Inhalt, das Material, der Wert, der teure Zement rann durch den Schlitz heraus und staubte über den Boden. Schon war er da, schon spürte ich seine Faust im Gesicht und dann, nachdem er mich niedergeschlagen hatte, auch seine Stiefel in den Rippen und im Nacken seine Hände, wie er mir das Gesicht immer wieder zu Boden drückte, in den Zement: Ich solle ihn aufnehmen, zusammenkratzen, auflecken – verlangte er, unsinnigerweise. Dann zerrte er mich wieder hoch: «Dir werd ich’s zeigen , Arschloch , Scheißkerl , verfluchter Judenhund» , sodass ich nie wieder einen Sack fallen ließe, wie er versprach. Von da an lud er mir bei jeder Wende persönlich den Sack auf den Nacken, nur um mich kümmerte er sich, nur ich gab ihm zu tun, nur mich verfolgte er mit den Blicken bis zum Wagen und zurück, und mich holte er nach vorn, auch wenn der Reihe und der Gerechtigkeit nach andere dran gewesen wären. Zu guter Letzt spielten wir einander beinahe schon in die Hände, kannten uns schon, beinahe las ich schon so etwas wie Befriedigung, Zuspruch, um nicht zu sagen Stolz auf seinem Gesicht, womit er, das musste ich zugeben, unter einem bestimmten Blickwinkel gesehen sogar recht hatte: Wenn auch schwankend, gekrümmt, zuweilen mit Schwärze vor den Augen, so hielt ich doch durch, ich kam und ging, ich trug und schleppte, und zwar ohne einen einzigen weiteren Sack fallen zu lassen, und das war ja – das musste ich einsehen – alles in allem die Bestätigung für ihn. Andererseits fühlte ich am Ende dieses Tages, dass etwas in mir unwiederbringlich kaputtgegangen war, von da an dachte ich jeden Morgen, es sei der letzte, an dem ich noch aufstehen würde, bei jedem Schritt, dass ich den nächsten nicht mehr tun, bei jeder Bewegung, dass ich die nächste nicht mehr schaffen würde; aber ja nun, vorläufig schaffte ich sie noch jedes Mal.
7
Mag sein, dass es Fälle gibt, dass Umstände vorkommen, die, wie es scheint, durch keinerlei Kunst noch schwerer zu machen sind. Ich darf sagen, nach so viel Bemühung, so zahlreichen vergeblichen Versuchen und Anstrengungen fand auch ich mit der Zeit Frieden, Ruhe, Erleichterung. Gewisse Dinge zum Beispiel, denen ich zuvor irgendwie eine ungeheure, geradezu unbegreifliche Bedeutung beigemessen hatte, verloren in meinen Augen ihr ganzes Gewicht. Beim Appell zum Beispiel, wenn ich vom Stehen müde war, gab ich nichts mehr darauf, ob da Schlamm oder eine Pfütze war: Ich nahm einfach Platz, hockte mich hin und blieb so, bis mich meine Nachbarn mit Gewalt wieder hochzogen. Kälte, Feuchtigkeit, Wind oder Regen konnten mich nicht mehr stören: Sie kamen nicht mehr an mich heran, ich spürte sie nicht einmal. Auch mein Hunger verging; auch jetzt noch führte ich zum Mund, was immer ich an Essbarem fand, das aber nur noch ganz zerstreut, mechanisch, aus Gewohnheit, um es so zu sagen. Bei der Arbeit? – da achtete ich nicht einmal mehr auf den Schein. Wenn es ihnen nicht passte, dann verprügelten sie mich höchstens, doch auch damit konnten sie mir nichts weiter antun, auch so gewann ich nur Zeit: Schon beim ersten Schlag legte ich mich schleunigst zu Boden, und das Weitere spürte ich gar nicht mehr, weil ich schlief.
Nur eines wurde immer stärker in mir: die Gereiztheit. Wenn mir jemand
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