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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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ins Gehege kam, wenn er auch nur meine Haut streifte, wenn ich beim Marschieren aus dem Schritt fiel (was oft vorkam) und mir jemand von hinten auf die Ferse trat, ich hätte ihn, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, kurzerhand da auf der Stelle umbringen können – hätte ich es gekonnt, versteht sich, und hätte ich nicht, noch ehe ich die Hand gehoben hatte, bereits vergessen gehabt, was ich eigentlich wollte. Auch mit Bandi Citrom geriet ich hin und wieder aneinander: Ich «ließe mich gehen», ich fiele dem Kommando zur Last, ich stürzte alle ins Verderben, ich würde ihm noch meine Krätze anhängen – dergleichen warf er mir vor. Aber vor allem schien es, als würde ich ihn in einer bestimmten Hinsicht in Verlegenheit bringen, ihn irgendwie stören. Ich bemerkte es, als er mich eines Abends zu den Waschtrögen abschleppte. Ich strampelte und wehrte mich vergeblich, er zerrte mir mit Gewalt meine Kluft vom Leib, vergeblich versuchte ich, mit der Faust seinen Körper, sein Gesicht zu treffen, er rieb mir die fröstelnde Haut mit kaltem Wasser ab. Ich sagte ihm hundertmal, er belästige mich mit seiner Bevormundung, er solle mich in Ruhe lassen, sich verpissen. Ob ich denn hier verrecken, ob ich vielleicht nie wieder nach Hause wolle, fragte er, und ich weiß nicht, welche Antwort er aus meinem Gesicht gelesen haben mag, aber auf dem seinen sah ich plötzlich so etwas wie Bestürzung, eine Art Erschrecken, die Art, mit der man im Allgemeinen hoffnungslose Unglücksvögel, Verurteilte oder, sagen wir, Verseuchte anschaut: Da ist mir dann auch wieder eingefallen, wie er sich einmal über die Muselmänner geäußert hatte. Auf jeden Fall mied er mich von da an eher, wie ich sah, und ich meinerseits war nun auch diese Belastung los.
    Von meinem Knie hingegen konnte ich mich in keiner Weise befreien, dieser Schmerz war fortwährend da. Nach einigen Tagen habe ich es mir schließlich auch angeschaut und, obwohl ich von meinem Körper schon allerhand gewöhnt war, es doch vorgezogen, diesen brandroten Sack, in den sich mein Knie ringsum verwandelt hatte, lieber gleich wieder vor meinen Blicken zu verstecken. Ich wusste natürlich sehr wohl, dass es in unserem Lager auch ein Krankenrevier gab, aber erstens fiel die Sprechstunde ausgerechnet in die Zeit des Abendessens, das mir nun doch wichtiger schien, als geheilt zu werden, und dann trugen die eine oder andere Erfahrung, mancherlei Orts- und Lebenskunde auch nicht gerade viel zum Vertrauen bei. Nun ja, und dann war es auch weit: zwei Zelte weiter, und so lange Wege unternahm ich, wenn es nicht unbedingt sein musste, nur noch ungern, schon weil mir das Knie nun bereits ziemlich wehtat. Schließlich haben mich Bandi Citrom und einer unserer Schlafgenossen dennoch mitgenommen, indem sie mit ihren Händen einen Sitz bildeten, so in der Art wie beim «Der Storch trägt sein Junges»-Spiel, und nachdem sie mich auf einem Tisch abgesetzt hatten, wurde ich gleich im voraus gewarnt: Es würde wahrscheinlich wehtun, weil ein sofortiger Eingriff unvermeidlich sei, man aber mangels Betäubungsmitteln gezwungen sei, ihn einfach so durchzuführen. So viel konnte ich zwischendurch beobachten: Man brachte mir mit dem Messer kreuzweise zwei Schnitte am Knie an, durch die man dann eine Unmenge Zeug aus meinem Schenkel herauspresste, worauf man das Ganze mit Papier verband. Darauf brachte ich auch gleich das Abendessen zur Sprache, und man versicherte mir: Alles Nötige werde geschehen, und das konnte ich dann auch bald erleben, in der Tat. Die Suppe war diesmal aus Futterrüben und Kohlrabi gekocht, was ich sehr mag, und für das Revier war offensichtlich aus der Einlage geschöpft worden, womit ich ebenfalls zufrieden sein konnte. Die Nacht verbrachte ich dort, im Revierzelt, in der obersten Etage einer Box, noch dazu ganz allein, und unangenehm war höchstens, dass ich zur gewohnten Stunde des Durchfalls das Bein nicht benutzen konnte und auch vergebens – zuerst flüsternd, dann laut, dann schon brüllend – um Hilfe nachsuchte. Am folgenden Morgen haben sie dann zusammen mit etlichen anderen Körpern auch den meinen auf das nasse Blech eines offenen Lastwagens geschmissen, und ich wurde in eine nahegelegene Ortschaft, die, wenn ich es richtig verstanden habe, «Gleina» hieß, transportiert, wo das eigentliche Krankenhaus unseres Lagers war. Hinten, auf einem hübschen Klappsitzstuhl sitzend, auf den Knien das von Nässe glänzende Gewehr, passte ein Soldat während der

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