Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roman mit Kokain (German Edition)

Roman mit Kokain (German Edition)

Titel: Roman mit Kokain (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Agejew
Vom Netzwerk:
kämpfte mich durch den Gang, der mit einem Durcheinander von stampfenden Füßen, mit dröhnenden Stimmen und Schreien angefüllt war, bis ich an die Tür zum Treppenhaus gelangte. Ich lehnte die Tür hinter mir an, wodurch die Schreie und das Getrappel der Füße, die das Ohr irregeführt hatten, verstummten und erst nach einem Augenblick als dichtes Getöse wiederkehrten, und schaute mich um.
    Eine Treppe tiefer, bei der Tür zum Karzer, der in den letzten zehn Jahren nicht mehr benutzt worden war und an dem ein rostrotes Schloss hing, saß Burkewitz. Er saß auf den Stufen, mit dem Rücken zu mir. Er saß mit gespreizten Beinen, die Ellenbogen auf den Knien, den Kopf auf die Hände gelegt. Ich ging zu ihm hinunter, leise auf Zehenspitzen, langsam Stufe für Stufe; dabei schaute ich ihm die ganze Zeit auf den Rücken. Der war zu einem Buckel gebogen, und die Schulterblätter stachen hervor, als wären unter den elend gespannten Stoff zwei spitze Gegenstände geschoben worden; in diesem krummen Rücken und den hervortretenden Schulterblättern lag Hilflosigkeit, und Resignation, und Verzweiflung. Ich trat von hinten leise an ihn heran, so, dass er mich nicht sah, und legte meine Hand auf seine Schulter. Er zuckte nicht zusammen und zeigte nicht sein Gesicht, nur sein Rücken krümmte sich noch mehr. Den Blick noch immer auf seinen Rücken geheftet, ließ ich meine Hand vorsichtig von seiner Schulter auf seine Haare gleiten. Aber kaum hatte ich seine warmen Haare gestreift, da fühlte ich, dass sich in mir etwas regte, etwas, das, könnte es jemand sehen, mir peinlich wäre. Ich blickte mich um, ohne dass es danach aussah, als blickte ich mich um, und vergewisserte mich, dass niemand auf der Treppe war; dann fuhr ich mit der Hand zärtlich über den widerspenstigen schokoladenbraunen Schopf. Es war angenehm. Mir wurde gleich so leicht und zart zumute, dass ich wieder und wieder über seine Haare fuhr. Burkewitz hatte die Hände nicht vom darin vergrabenen Gesicht genommen und konnte darum auch nicht sehen, wer sich ihm genähert hatte und ihm über das Haar strich, aber plötzlich brachte er stimmlos zwischen seinen Händen hervor: «Wadim ?» Mit kristallener Brust setzte ich mich sogleich zu ihm nieder. Burkewitz hatte «Wadim » gesagt, und dass er das getan hatte, ohne zu wissen, wer zu ihm gekommen war, bedeutete mir, dass ich zum ersten Mal nicht wegen meiner hartherzigen Verwegenheit, sondern der Feinfühligkeit und Zärtlichkeit meines Herzens wegen bemerkt worden war. Meine Finger verkrampften, griffen widerspenstige, an den Wurzeln warme Haarsträhnen, zogen heftig daran und entrissen Burkewitz’ Gesicht der Schale der es bedeckenden Hände, dann drehte ich dieses Gesicht zu mir, Auge zu Auge. Nah, sehr nah, sah ich jetzt die kleinen grauen Augen vor mir, merkwürdig verändert von der nach hinten gespannten Haut, wo meine Hand ihn an den Haaren hielt. Etwa eine Sekunde schauten die Augen mich finster leidend an, aber endlich, da sie die festen männlichen Tränen nicht unterdrücken konnten, versteckten sie sich hinter den Lidern und zogen eine grimmige Falte zwischen die Brauen. Kaum hatten die Augen sich geschlossen, da ertönte eine mir unbekannte, bellende Stimme. «Wadim. Du. Lieber. Ein … Einziger. Glaub mir. So schwer. Ich. Von Seele. Von ganzer. Glaub mir .» Als ich zum ersten Mal spürte, wie kräftige männliche Arme sich um mich legten und über meinen Rücken fuhren, ich zum ersten Mal meine Wange an die Wange eines Mannes drückte, da herrschte ich ihn mit grober Stimme an: «Wassja … ich bin … dein … dein …» Ich wollte «Freund » hinzufügen, aber während ich das «Fr » vielleicht noch geschafft hätte, befürchtete ich, bei «eu » in Tränen auszubrechen. Ich stieß Burkewitz grob von mir, auch sein Gesicht, das mit den geschlossenen Augen, der Blässe und der kurzen Nase Ähnlichkeit mit einer Gipsmaske von Beethoven hatte – und als mir mit lähmendem Entsetzen bewusst wurde, dass ich im Begriff gewesen war, etwas Schreckliches zu tun, stürzte ich die Treppe hinunter. Ich raste hinab, wie jemand, der einen Arzt für einen sterbenden Freund holt: Er rast nicht, weil der Arzt ihn retten kann, sondern weil die Bewegung, diese Jagd, den Drang abschwächen soll, an sich selbst jene Leiden erfahren zu wollen, deren Anblick dieses schier unerträgliche Gefühl des Mitleids erweckt.
    Ich bin unten angekommen. Im Speisesaal, im Untergeschoss, passen die Füße sich der Glätte

Weitere Kostenlose Bücher