Romana Exklusiv 0176
Mortimer
LIEBESGESCHICHTE IN ATHEN
1. KAPITEL
Nach dem ersten Akt zogen die beiden Mädchen sich hastig für ihren nächsten Auftritt um.
„Hast du gesehen, wer heute im Parkett sitzt?“, fragte Vanda aufgeregt.
„Wer denn?“ Merry war ziemlich desinteressiert. Natürlich ging oft das Gerücht um, ein berühmter Theaterdirektor oder dergleichen besuche die Vorstellung. Meistens blieb es bei einem Gerücht. Bei diesem Stück war schon gar nicht mit hohem Besuch zu rechnen – es würde sicherlich noch in dieser Woche von der Bühne verschwinden. Ein Dutzend unerfahrener Schauspieler stolzierten in grässlicher Kleidung und grellgefärbten Perücken über die Bühne. Merrys Haartracht war pink! Die Dialoge waren einfach idiotisch. Niemand konnte sich dafür interessieren, nicht einmal die Schauspieler selbst waren richtig bei der Sache.
„Gideon Steele!“, trumpfte Vanda auf. Sie trug jetzt enge Lederhosen und ein knappes Lederoberteil, dazu eine enorme orange Perücke über ihrem blonden Haar.
„Rede keinen Unsinn!“
Merry legte gerade ähnliche Kleidung an. Sie hasste dieses Kostüm, weil es so viel nackte Haut zeigte. Nach den aufreibenden Proben hätte diese Aufführung sich endlich auszahlen sollen, doch im Grunde war Merry froh, dass es nun bald vorbei sein würde. Wenn Harry Anderson, der Autor und steinreich, sein Stück nicht selbst finanziert hätte, wäre es gewiss nie gespielt worden. Das bewies wieder einmal, dass man jeden Blödsinn aufführen konnte, wenn man genügend Geld besaß.
Die Kritiken waren vernichtend gewesen. Harry musste aufgeben. Nicht einmal er konnte den Wunsch haben, vor leerem Saal zu spielen. Merry jedenfalls würde bald wieder zum großen Heer arbeitsloser junger Schauspieler gehören.
Die Behauptung, Gideon Steele befände sich im Publikum, war jedenfalls absurd. Er hatte erst letztes Jahr einen Oscar als bester Filmregisseur gewonnen. Kollegen und Kritiker waren gleichermaßen von ihm begeistert. Niemals würde Gideon Steele sich ein Theaterstück wie dieses ansehen. Außerdem war er Film- und nicht Bühnenregisseur.
„Harry sagt, er sieht gut aus“, verriet Vanda.
„Wunschdenken.“ Merry verzog das Gesicht. „Komm jetzt, der zweite Akt fängt gleich an.“
„Okay. Aber wirf mal einen Blick in die erste Reihe. Ich habe ihn bisher nur im Fernsehen gesehen, letztes Jahr bei der Preisverleihung. Ich vergesse nie einen gutaussehenden Mann“, schwärmte Vanda, „und Gideon Steele ist wirklich ein hübscher Teufel. Er ist hinreißend! Deine Wimperntusche ist verschmiert“, fügte sie nüchtern hinzu. „Gott, ist dieses Make-up grässlich!“
Das stimmte. Um im Scheinwerferlicht nicht totenblass auszusehen, müssen die Schauspieler stark geschminkt auftreten. Vanda und Merry spielten zwei Showgirls, und ihr Augen-Make-up wirkte bei normaler Beleuchtung geradezu grotesk.
Der zweite Akt kam genauso schlecht an wie der erste. Einige Leute standen auf und gingen. Nicht so der Mann in der ersten Reihe. Merry konnte ihn jetzt deutlich erkennen. Er war dunkelhaarig und trug eine Brille mit getönten Gläsern. Aufmerksam, doch scheinbar nicht übermäßig interessiert verfolgte er die Darbietung.
„Hast du ihn gesehen?“, fragte Vanda aufgeregt, als sie sich für den dritten und letzten Akt umzogen.
„Ich habe einen Mann gesehen“, bestätigte Merry. „Doch so wie der sein Gesicht versteckt, könnte es jeder sein.“
Vanda kicherte. „Du würdest sicher auch dein Gesicht verstecken, wenn du Gideon Steele wärest, der sich ein solches Stück ansieht.“
„Wenn er Gideon Steele ist.“
„Er ist es“, ertönte Harrys Stimme hinter ihnen.
Vanda fuhr herum. „Wirklich?“ Ihr hübsches Gesicht strahlte auf unter der dicken Schminke. „Er ist es wirklich?“ Sie packte Harry am Arm.
„Ja, Darling, er ist es.“ Vorsichtig befreite er sich aus Vandas Griff. Der hübsche blonde Harry trug einen dunklen Abendanzug und hatte einen weißen Seidenschal lässig umgelegt. Seine Züge waren ebenmäßig, fast schon zu perfekt. „Aber er ist nicht gekommen, um dich zu sehen“, informierte er Vanda. „Er ist wegen Merry hier.“
„Meinetwegen?“ Merry schnappte nach Luft. „Wieso meinetwegen?“
„Nun, er nahm mich zur Seite und bat mich, ihm zu zeigen, wer Meredith Charles sei. Er behauptet, ihr seht alle gleich aus“, fügte Harry etwas gekränkt hinzu.
Merry war fassungslos. „Aber warum sollte er wünschen, mich zu sehen?“
„Darling, gebrauche
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