Romana Exklusiv 0176
Gideons Stimme war eisig. „Das solltest du nicht. Dein Interesse an Michael hat Lindas Entschluss, ihn zu heiraten, bestärkt.“
„Das ist immerhin etwas. Eifersüchtig deswegen?“
„Überhaupt nicht. Ich will dich nur warnen. Ich möchte nicht, dass du verletzt wirst.“
Jetzt erst bemerkte Merry das Schweigen des Taxifahrers und seine häufigen Blicke in den Rückspiegel. Offenbar versuchte er zu verstehen, was sie und Gideon mit hitzigen, gedämpften Stimmen miteinander redeten. Dem Fahrer schien diese Entwicklung nicht zu gefallen. Vielleicht befürchtete er, Merry und Gideon würden als Folge ihres Streits beschließen, zur Yacht zurückzukehren, und er würde seinen Fahrtlohn verlieren.
„Ich werde nicht verletzt werden, Gideon“, sagte Merry leise. „Zumindest nicht von Michael.“
„Gut.“
Sie wechselte das Thema, „Was gibt es denn in Ephesus zu sehen?“
Fatalerweise glaubte der Fahrer, die Frage sei an ihn gerichtet. Eifrig bemüht, die Laune seiner Fahrgäste wiederherzustellen, sprudelte er lange und ausführliche Beschreibungen hervor. Merry und Gideon wechselten einen belustigten Blick. Als der Mann endlich schwieg, schwirrte Merrys Kopf vor Informationen über das ursprüngliche Ephesus, benannt nach einer Amazonenkönigin und erbaut im Jahre 3000 vor Christus. Die zweite Stadt war 1000 Jahre vor Christus entstanden, wurde einige Jahrhunderte später zerstört und zum dritten Mal aufgebaut. Merry konnte kaum glauben, dass dieser Ort, wenn auch nur als Ruinenstadt, nach all dieser Zeit noch existieren konnte.
Bevor sie jedoch Zweifel anmelden konnte, sprach der Fahrer weiter. Diesmal berichtete er über Selcuk, eine moderne Kleinstadt in der Nähe von Ephesus. Auch dort gab es einiges zu sehen, zum Beispiel die Basilika St. John oder den Tempel der Artemis.
Die Fahrt dauerte über eine Stunde. Das Land war abwechselnd flach und hügelig, und überall gab es eine üppige grüne Vegetation. Merry hatte sich die Türkei öde vorgestellt und freute sich jetzt noch mehr über diesen Ausflug.
Als sie Ephesus erreichten, gab Gideon dem Fahrer Anweisung, sie am anderen Ende der Ruinenstadt zu erwarten. „Es ist ein ziemlicher Fußmarsch“, erklärte er. „Ich glaube nicht, dass du den Weg zurückgehen willst.“
Merry war froh, vernünftige Schuhe angezogen zu haben, und suchte in ihrem Reiseführer nach der Bezeichnung des Gebäudes, vor dessen Trümmern sie Halt machten. Es war der Odeion, das Rathaus der Stadt. Ein großer Halbkreis steinerner Sitze war erhalten geblieben. Andächtig blickte Merry die grobgepflasterte Straße hinab und schritt vorsichtig über die vom Regen und Alter ausgewaschenen Steine.
Die Schönheit des Ortes bezauberte sie. Sie kamen jetzt zum Tempel Hadrians, dessen Triumphbogen sie schon in Athen bewundert hatten. Die Mauern der Häuser auf dem Hügel gegenüber schienen direkt in den Hang hineingebaut zu sein.
Anfangs waren sie an den römischen Bädern vorbeigekommen und erreichten nun die Bäder der Scholastikia, welche aus einem Dampfraum, Heiß- und Kaltwasserbassins bestanden.
„Die Leute schienen von Bädern geradezu besessen zu sein“, murmelte Merry.
„Warum auch nicht?“, erwiderte Gideon. „Es gab hier fünf Quellen, mangelte also niemals an Wasser. Ein sehr zivilisiertes Volk, diese Römer. Sie verfügten sogar über ein ausgezeichnetes Abwassersystem.“
Sie bogen in eine andere Hauptstraße ein. Merry suchte in ihrem Führer den Namen des Gebäudes zu ihrer Rechten, konnte ihn aber nicht finden. Das Haus interessierte sie. Es hatte einen Hauptraum, von dem sämtliche Zimmer abgingen. Einige der Fußböden waren mit Mosaiken ausgelegt.
„Das Bordell“, erklärte Gideon trocken.
„Aha.“ Merry wurde rot.
„Und hier drüben ist die Bibliothek.“
„Wie kultiviert!“, rief sie spöttisch.
Er lachte gut gelaunt. „Bestimmt keine Konkurrenz.“
Merry erwiderte nichts. Sie bewunderte die Bibliothek, das bisher eindrucksvollste Gebäude. Die Vorderseite war ziemlich intakt, auch die zweigeschossigen Säulen standen noch. Einige schöne Statuen standen in hohen Nischen.
„Wie ich schon sagte“, dozierte Gideon, „es war ein hochkultiviertes Volk. Schade, dass es in Dekadenz enden musste. Hast du den Marmorfußboden gesehen? Großartig!“
Der Boden war ab hier statt mit Fliesen mit Marmor bedeckt, der im gleißenden Sonnenlicht weiß schimmerte. Es war ein ungewöhnlich heißer Tag. Als sie aus dem Taxi gestiegen waren,
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