Romana Exklusiv 0186
Wenn ich mir deinen Sohn aneignen wollte, wie du es ausgedrückt hast, hätte ich meinen Rechtsanwalt mit der Sache beauftragt. Nein, es ist ein Unfall passiert“, fügte er bedrückt und zögernd hinzu. „Da du darauf bestehst, es …“
„Was? Ein Unfall?“, unterbrach sie ihn schon wieder. „Was ist mit David?“
„Es geht nicht um David, sondern um meinen einzigen Sohn, um Enrique“, antwortete der alte Mann erschöpft. „Ich bin hier, um dich zu bitten, mit mir nach Spanien zu fliegen. Wenn du dich weigerst, weiß ich mir keinen Rat mehr.“
15. KAPITEL
Auf der Fahrt vom Flughafen nach Tuarega achtete Cassandra kaum auf die Umgebung. Es wurde dunkel, und sie konnte an nichts anderes denken als an den Grund der Reise. Sie kam sich sehr isoliert vor und zu weit weg von allem, was ihr vertraut war. Immer wieder überlegte sie, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Könnte sie es ertragen, noch einmal zurückgewiesen zu werden?
Seit Julio ihr von Enriques Unfall erzählt hatte, war sie zutiefst beunruhigt. Er war auf einer der Koppeln zu nah an einen der wilderen Stiere herangegangen, was eigentlich gar nicht zu ihm passte.
Julio war der Meinung, sein Sohn sei geistesabwesend und unkonzentriert gewesen. Ehe die Mitarbeiter hatten eingreifen und helfen können, hatte der Stier Enrique schon angegriffen und ihn mit den Hörnern schwer am Arm und am Oberschenkel verletzt. Vier Männer hatten den wild gewordenen Stier schließlich überwältigt und ihn wenig später getötet.
Enrique war bewusstlos gewesen, und man hatte ihn im Hubschrauber ins Krankenhaus nach Sevilla gebracht. Dort hatte er sogleich eine Bluttransfusion bekommen und einige Tage auf der Intensivstation liegen müssen.
Cassandra konnte kaum glauben, dass man sie nicht informiert hatte. Der Mann, den sie liebte und wahrscheinlich immer lieben würde, hatte um sein Leben gekämpft, und sie hatte nichts davon geahnt. Erst jetzt hatten die de Montoyas ihre hochmütige Haltung aufgegeben und sich mit ihr in Verbindung gesetzt, weil sie Angst um ihn hatten, obwohl er sich körperlich ganz gut erholt hatte.
„Ihn interessiert überhaupt nichts mehr“, hatte Julio frustriert erzählt. „Der Unfall ist vor mehr als zwei Wochen passiert, und die Wunden heilen gut. Immerhin ist man bei uns an solche Verletzungen gewöhnt. Ihr Engländer denkt, Stiere seien hilflose Geschöpfe, aber ich habe gesehen, wie Männer ihr Leben oder ihre Gliedmaßen bei Stierkämpfen verloren haben.“
Cassandra war anderer Meinung, sie schwieg jedoch.
„Er sollte jetzt schon wieder voll belastbar sein“, fuhr Julio unglücklich fort. „Er hat Aufgaben und Pflichten und weiß genau, dass ich nicht mehr viel tun kann. Trotzdem hört er nicht auf mich. Er will mit niemandem reden, noch nicht einmal mit David.“
Warum sollte er dann mit mir reden?, überlegte Cassandra. „Aber Enrique verbringt doch sicher noch Zeit mit David, oder?“, fragte sie.
„Er will außer Carlos Mendoza niemanden sehen“, hatte Julio zögernd geantwortet. „Wenn du mitkommst, kannst du dich vergewissern, dass es stimmt.“
Ich hatte gar keine andere Wahl, überlegte sie jetzt angespannt und beunruhigt. Vielleicht würde Enrique sich weigern, mit ihr zu sprechen. Und was dann? Würde man sie wieder zurück nach England schicken?
Julio hatte nach dem Gespräch mit Cassandra vorgeschlagen, am selben Nachmittag nach Spanien zurückzufliegen. Ein Privatflugzeug stand auf dem Flughafen Stanstead bereit, und Cassandra hatte nur noch ihren Vater anrufen und ihn kurz informieren können, was los war, und ihn gebeten, Henry Skyler Bescheid zu sagen.
Plötzlich wurde der Wagen langsamer. Vor ihnen lag ein ihr fremdes Gebäude, und ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
Julio hatte während der Fahrt von Sevilla hierher geschlafen. Jetzt richtete er sich auf und bewegte seine steifen Gliedmaßen. Als er Cassandras verständnislosen Blick bemerkte, fragte er: „Was hast du?“
„Das hier ist nicht Tuarega“, erwiderte sie unsicher.
Er zuckte die Schultern. „Es gehört noch dazu. Habe ich dir nicht erzählt, dass Enrique sich nach der Entlassung aus dem Krankenhaus auf La Hacienda, wie er sein Haus genannt hat, zurückgezogen hat? Er will allein sein. Ich muss mich jetzt von dir verabschieden.“
„Wie bitte?“ Sie sah ihn fassungslos an. „Sie wollen mich hier allein lassen?“
„Du bist nicht allein“, entgegnete er unerbittlich. „Enrique ist da und Mendoza
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