Romana Exklusiv 0187
will doch sicher, dass dir geholfen wird.“
„Du kennst Leo nicht. Mein Halbbruder wird mit seinen Problemen allein fertig. Er ist stark, er ist brillant, er hat keine Schwächen. Die Leute bewundern ihn. Mehr als alles andere auf der Welt wünsche ich mir, wie Leo zu sein. Wenn er erfährt, wo ich bin, holt er mich nach Hause und schickt mich zu einem Psychiater. Ich könnte es nicht ertragen, ihn noch einmal zu enttäuschen. Ich …“
Rick sah Tansy gequält an. „So stark wie Leo bin ich nicht, aber ich muss mir und ihm beweisen, dass ich irgendetwas richtig machen kann.“
Tansy wusste, was Rick antrieb, kannte das Bedürfnis, anderen etwas zu beweisen. Ihre Beziehung zu ihrer Pflegefamilie war daran gescheitert, dass sie unfähig war, die Tochter und Schwester zu sein, die sie sich wünschten. „Dein Bruder erwartet doch wohl nicht, dass du eine Kopie von ihm wirst? Ist er so dumm?“
„Nein, das ist er nicht“, verteidigte Rick seinen Bruder. „Sag ihm einfach nicht, wo ich bin, in Ordnung? Ich bitte dich nur ungern darum, weil Leo ein Meister darin ist, Druck auszuüben.“
„Er kann nicht mehr tun, als mich zu fragen.“ Tansy lachte. „Wie sollte er mich denn unter Druck setzen?“
Rick hatte sie mit einer Skepsis angeschaut, die Tansy erst später verstehen sollte. „Du kennst Leo nicht. Irgendwie wird er dir drohen. Also bitte, versprich es mir.“
Eine seltsame Erregung durchflutete sie. Sie würde Leo Dacre zeigen, dass sie nicht so leicht einzuschüchtern war!
Als er anbot, ihr einen Kaffee zu bestellen, schüttelte sie den Kopf und stand auf. „Gehen wir.“ An diesem Abend würde sie sich von ihm nach Hause fahren lassen. Draußen regnete es in Strömen, und zu Fuß würde sie bald bis auf die Haut durchnässt sein.
Leo fragte nicht, wo sie wohnte, und sie sagte nichts. Als er losfuhr, wurde ihr klar, dass er es wusste.
„Wollen Sie mich nicht hereinbitten?“, fragte er vor ihrer Tür.
„Nein.“ Tansy rechnete damit, Leo nicht so ohne weiteres loszuwerden, und wappnete sich für eine Auseinandersetzung. Auf sein leises Lachen war sie jedoch nicht vorbereitet.
„Ein guter Kampf macht mir Spaß“, sagte er spöttisch. „Schließen Sie die Tür auf.“ Er umfasste Tansys Hand, führte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn. Mit der anderen Hand schaltete er das Licht ein. „Alles in Ordnung?“ Er warf einen Blick in Tansys kleines Reich.
„Natürlich“, erwiderte sie scharf. Leo schien in Sekunden-schnelle jede Einzelheit ihres Zimmers in sich aufzunehmen.
Um ihm die Sicht zu versperren, betrat sie ihre Wohnung und drehte sich zu ihm um. „Bis morgen.“
Energisch schloss sie die Tür. Was sollte das eben? Machogehabe? Hatte er beweisen wollen, dass er alles mit ihr machen konnte? Kaum. Er war intelligent und raffiniert, nicht ungehobelt.
Um Himmels willen, war er etwa wirklich um sie besorgt? Bei dem Gedanken verspürte Tansy eine seltsame Erregung, verdrängte das Gefühl jedoch. Im Grunde war sie schon immer auf sich allein gestellt gewesen. Als ihre Pflegeltern von ihr verlangt hatten, dass sie von der Schule abging und im lokalen Supermarkt arbeitete, war sie davongerannt, um ihren Traum zu verwirklichen. Sie wollte Musik machen, nicht mehr und nicht weniger.
Die Musik war ein Bedürfnis, das wichtiger und befriedigender war als Essen, Zuneigung und Liebesbeziehungen. Sie würde es nicht einmal bedauern, wenn sie nie die große Liebe finden sollte. Sie würde in ihrem Leben sowieso immer nur an zweiter Stelle stehen.
2. KAPITEL
Tansy sank seufzend in den Sessel und nahm ihre Baskenmütze ab. Sofort umrahmte ihr langes rotes Haar ihr Gesicht. Mein Haar ist so ziemlich das Einzige an mir, was im Augenblick lebendig ist, dachte Tansy trübsinnig. Zu lebendig: völlig unbeherrschbar und viel zu auffällig. Es war ein schreiender Kontrast zu ihrer ansonsten blassen, unaufdringlichen Erscheinung.
Müde ging sie ins Bett, nur um lange wach zu liegen und sich zu fragen, wie Rick in seiner selbst auferlegten Verbannung wohl zurechtkam.
Am nächsten Morgen rief sie auf dem Weg zum Lambton Quay im Camp an, geriet jedoch an einen unfreundlichen Mann, der ihr mitteilte, er sei der Koch und alle anderen seien den ganzen Tag über unterwegs. Bevor Tansy etwas sagen konnte, legte er auf. Völlig frustriert rief sie in der Universität an, um mit Professor Paxton über das Stipendium zu sprechen. Aber auch dort erreichte sie niemanden.
Kurz vor Mittag beobachtete sie,
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