Romana Exklusiv 0190
ich bewege mich in einem Minenfeld, dachte sie, so feindselig ist die Atmosphäre.
Sie wurden bereits erwartet. Die Contessa Baressi war eine stattliche Frau mit stahlgrauem Haar, das zu einem kunstvollen Chignon geschlungen war. Ihr hageres Gesicht zeigte noch Spureneinstiger Schönheit. Anden Händen, mit denen sie die Armlehnen eines Brokatstuhls umklammerte, glitzerten Ringe, eine kostbare Diamantbrosche schmückte ihr elegantes schwarzes Kleid.
Am Fenster stand eine weitere Person und blickte hinaus. Sie war viel jünger, vermutlich Anfang zwanzig. Das modische rosa Leinenkleid betonte ihre sinnliche Figur, eine Fülle schwarzen Haars fiel ihr über die Schultern und umrahmte ein Gesicht, das man als katzenhaft schön hätte bezeichnen können, wenn es nicht pure Verzweiflung widergespiegelt hätte. Ihr Körper war angespannt, lediglich ihre Hände zerrten nervös an einem Chiffonschal. Sie wandte sich weder zu den Neuankömmlingen um, noch deutete sie durch irgendeine Geste an, dass sie deren Anwesenheit bemerkt hatte.
Instinktiv wusste Flora, dass dies Ottavia war.
„Zia Paolina.“ Tonio eilte zu seiner Tante und küsste ihr mit lässiger Ehrerbietung die Hand. „Darf ich dir Fabios neueste kleine Freundin vorstellen, Signorina Flora Graham.“
Um die sorgfältig geschminkten Lippen der Contessa spielte ein Lächeln, doch die Augen, mit denen sie Flora von Kopf bis Fuß betrachtete, blickten eiskalt. Ihr Englisch war mit einem starken Akzent behaftet. „Ich freue mich, dass Sie meine Einladung angenommen haben, Signorina. Gra zie.“
„Sie sagen das so, als hätte ich eine Wahl gehabt.“ Trotzig begegnete sie dem Blick der älteren Frau. „Vielleicht können Sie mir erklären, warum ich unter diesen Umständen hergebracht wurde.“
„Meinen Sie nicht, dass ich die … Gefährtinnen meines figliocio kennenlernen möchte?“
„Offen gestanden, nein. Ich hätte eher gedacht, dass ich unter Ihrer Würde bin.“
Vom Fenster her ertönte ein Geräusch, das wie das Zischen einer kleinen Schlange klang.
Die Contessa neigte leicht den Kopf. „Normalerweise hätten Sie recht. Aber Sie, Signorina, fallen aus dem Rahmen, und zwar in vielerlei Hinsicht. Dadurch wurde unser Zusammentreffen unvermeidlich, glauben Sie mir.“
„Dann bin ich wohl recht begriffsstutzig, denn ich habe noch immer keine Ahnung, was ich hier soll.“
„Vielleicht nicht begriffsstutzig, aber zweifellos ein bisschen dumm, wie es bei verliebten Frauen häufig vorkommt. Der Charme meines Patensohnes hat Sie eindeutig verzaubert – sogar so weit, dass Sie bereit waren, Ihre Verlobung zu lösen und ihm in ein anderes Land zu folgen.“ Sie stieß ein spöttisches Lachen aus. „So viel Hingabe und alles leider umsonst.“
Flora stockte der Atem. Die Contessa schien ziemlich viel über ihre Vergangenheit zu wissen.„Ich denke, das geht nur Fabio und mich etwas an.“
„O nein“, entgegnete die ältere Frau sanft. „So privat war es nie. Wussten Sie, dass Fabio verlobt war?“
„Ja.“ Allmählich dämmerte Flora, wohin das Gespräch führen würde. „Die Verlobung wurde allerdings gelöst.“
„Bedauerlicherweise ja. Es war eine perfekte Verbindung, die bereits arrangiert wurde, als die beiden noch Kinder waren.“
Flora blickte zu der regungslosen Gestalt am Fenster hinüber. „Seine fidanzata hatte sich für einen anderen Mann entschieden.“
Die Contessa richtete sich kerzengerade auf. „Genau wie Sie, mein armes Kind, wurde sie verführt – von Leidenschaft überwältigt. Deshalb hat sie ihr Leben ruiniert und ihre Chance auf wahres Glück weggeworfen.“
„Das tut mir leid. Trotzdem sehe ich nicht, was es mit mir zu tun hat. Ich möchte jetzt nach Hause.“
„Nach Hause?“ Die schmalen Augenbrauen schossen in die Höhe. „So betrachten Sie das Castello? Sie sind anmaßend, Signorina!“
Flora biss sich auf die Lippe. „Es war nur eine Redensart.“
Nach kurzem Schweigen bat die Contessa: „Erzählen Sie uns, wie Sie meinen Patensohn getroffen haben.“
„Wir aßen zufällig im gleichen Restaurant zu Mittag“, berichtete Flora zögernd. „Als ich gehen wollte, versuchte jemand, mir die Handtasche zu rauben, und Fabio kam mir zu Hilfe.“
„Ah.“ Die Contessa nickte. „Zumindest so weit ist alles nach Plan verlaufen.“
„Nach Plan? Wovon reden Sie?“
„Nun ja …“ Die ältere Frau klang versonnen. „Sie sind tatsächlich begriffsstutzig. Die Begegnung mit Fabio war an jenem Tag kein
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