Romana Exklusiv 0197
der Tasche zog und anfing zu wählen.
Sie würde einfach so tun, als wollte sie Gabina sprechen und ihr frohe Weihnachten wünschen. Das war völlig unverfänglich, und niemand konnte dabei Hintergedanken haben. Es läutete am anderen Ende der Leitung. Lysan war froh, dass nicht das Besetztzeichen ertönte, denn für einen zweiten Versuch hätte ihr Mut bestimmt nicht gereicht. Sie würde sich bei Gabina nach den anderen erkundigen und ihr nicht anvertrauen, dass sie sich noch in Santiago aufhielt. Aber wenn nun Enrico den Anruf entgegennehmen würde?
Plötzlich erinnerte sie sich an Ondina Alvarez. Sie stöhnte auf und überlegte, wieso sie die dunkeläugige Schönheit vergessen hatte. Wahrscheinlich feierte Enrico jetzt irgendwo mit ihr Weihnachten.
Von wegen eifersüchtig! Solche Gefühlsregungen kennt er im Zusammenhang mit mir bestimmt nicht. Es ist lächerlich, so etwas überhaupt anzunehmen, sagte sie sich. Wenn jemand eifersüchtig war, dann nur sie selbst, denn es verursachte ihr körperliche Übelkeit, sich Enrico mit Ondina vorzustellen.
Lysan wollte gerade den Hörer auflegen, als sie Enricos Stimme am anderen Ende vernahm, als wollte er ihr beweisen, dass er nicht mit Ondina ausgegangen war. Sie hielt den Hörer krampfhaft fest und brachte kein Wort heraus.
„Hallo?“ Seine Stimme klang ungeduldig. „Hallo?“
„Ich … wollte eigentlich …“ Lysan fiel nichts mehr ein.
„Lysan!“, rief er angespannt. Da er ihre Stimme sogleich erkannt hatte, musste sie auch etwas sagen, wenn sie sich nicht lächerlich machen wollte.
„Also … ich wollte gern mit Gabina sprechen.“ Geschafft!, dachte sie erleichtert.
„Gabina und Celso sind wieder zu Hause“, erwiderte er.
Irgendwie ergab es keinen Sinn. Wohnten die beiden etwa nicht bei ihm?
„Oh“, antwortete sie und fügte hinzu: „Ja, das war’s. Danke.“ Sie wollte das Gespräch beenden.
Enrico fragte jedoch: „Wolltest du aus einem bestimmten Grund mit Gabina reden?“
„Nein, eigentlich nicht.“ Sie war so aufgewühlt und nervös, dass ihr die einleuchtendste Ausrede nicht einfiel. Es war Weihnachten, und sie hätte behaupten können, seiner Schwägerin ein frohes Fest wünschen zu wollen. Stattdessen erklärte sie: „Ich dachte nur, wenn sie zufällig zum Einkaufen in die City fährt, hätten wir zusammen einen Kaffee trinken können.“ Ein sehr kühner Vorwand, denn die Geschäfte schlossen an diesem Abend früher als sonst. Sie ärgerte sich über sich selbst, weil sie wieder einmal alles falsch anfing.
Sekundenlang schwieg Enrico, und Lysan glaubte schon, er hätte aufgelegt. Aber er war noch da.
„Wo bist du, Lysan?“, fragte er ruhig.
Natürlich konnte sie jetzt nicht mehr so tun, als wäre sie zu Hause. „In Santiago“, gab sie deshalb zu.
„Du bist also in Santiago!“ Er war überrascht. Kein Wunder, denn er hatte ja gewusst, dass sie den Rückflug gebucht hatte. Sie hätte eigentlich schon seit einigen Tagen wieder in England sein müssen.
„Ja“, erwiderte sie betont unbekümmert, als wäre es selbstverständlich und ganz normal, dass sie sich noch in Chile aufhielt.
„Bist du in England gewesen und wieder zurückgekommen?“ Offenbar konnte er sich keinen Reim auf die ganze Sache machen.„Bist du mit deinem Verlobten hier?“ Seine Stimme klang plötzlich merklich kühler.
„Noel ist am Mittwoch nach England geflogen“, antwortete Lysan kurz angebunden.
„Wolltest du nicht mit ihm fliegen?“, fragte er nach einer längeren Pause, und es hörte sich so an, als wäre es ihm viel lieber, sie wäre nicht mehr hier.
„Es gefällt mir in Chile, das habe ich doch immer gesagt“, erklärte sie herausfordernd. „Also dann, schöne Weihnachten, Enrico“, fügte sie hinzu und beendete rasch das Gespräch, ehe sie es sich anders überlegen konnte.
Was für eine dumme Idee! Hätte ich doch nicht bei ihm angerufen!, dachte sie. Beinah vorwurfsvoll hatte er sie gefragt, ob sie nicht mit Noel hätte fliegen wollen. Sie musste unbedingt weg!
Lysan verwarf den Gedanken, sich das Dinner beim Zimmerservice zu bestellen. Sie würde jetzt sowieso keinen Bissen hinunterbringen. Sie stellte sich unter die Dusche und wischte immer wieder die Tränen weg, die ihr zusammen mit dem warmen Wasser über die Wangen liefen. Angeblich ist es wunderschön, verliebt zu sein – warum hat mich niemand gewarnt, welche seelischen Tiefs man dabei durchmacht?, überlegte sie verzweifelt.
Nachdem sie geduscht und das Haar
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