Romana Exklusiv 0225
und entschied, wer eine Evakuierung in eine Klinik benötigte. Bestimmt aber befand sich Ben irgendwo in dieser Gegend. Also war sie ihm räumlich immerhin näher als in Neuseeland.
„Was werden wir wohl zu tun haben?“
„Im Prinzip das Gleiche wie daheim, nur unter mehr Stress, erschwerten Bedingungen, misslichen Umständen. Zu viele Patienten auf einmal, Überstunden und Verzicht auf regelmäßiges Essen und Duschen.“ Er grinste. „Es wird Sie begeistern.“
Sarah verzog das Gesicht, verzichtete aber in Anbetracht des Motorbrummens auf eine Fortsetzung der Unterhaltung. Auch verdrängte sie ihre Träume, Seite an Seite mit Ben zusammenzuarbeiten, mit ihm gemeinsam nach diesem schrecklichen tropischen Wirbelsturm Leben zu retten.
Sechsunddreißig Stunden waren seit dem Unwetter vergangen, doch der Flughafen von Nadi hatte erst vor Kurzem den Betrieb wieder aufgenommen. Die Militärmaschine landete in der Dunkelheit. Beim Aussteigen regnete es heftig, und noch immer blies ein garstiger Wind. Diesmal wurde Sarah bei der Ankunft nicht von lächelnden Inselbewohnern mit exotischen Blumenkränzen empfangen. Stattdessen musste sie im Eilschritt loslaufen und dem Gabelstapler ausweichen, der den bereits geöffneten Flugzeugrumpf ansteuerte, um die Hilfsgüter zu entladen.
„Hier entlang, Sarah!“ Kevin griff sie beim Arm und marschierte mit ihr zu zwei Lkws, die den Sammelpunkt für ihre zwanzigköpfige Hilfsmannschaft – Ärzte, Sanitäter und Krankenschwestern aus Neuseeland – bildeten.
Ein Mann in Militäruniform teilte vor einem Lkw die Leute ein. „Wir brauchen noch einen Arzt und eine Schwester für Suva“, rief er.
Kevin trat vor. „Ich bin bereit.“
Laut Bens Erzählung arbeitete er normalerweise zwei Tage pro Woche in einer Klinik in Suva. „Ich bin examinierte Krankenschwester“, rief Sarah dem Koordinator zu und trat neben Kevin. „Sarah Mitchell. Ich würde ebenfalls gern nach Suva gehen.“
„Prima. Steigen Sie ein.“ Mit dem Daumen deutete der Mann auf einen der Lkws.
Kaum war Sarah hineingeklettert und neben Kevin zum Sitzen gekommen, ratterte der Lkw auch schon los. Während der Fahrt im beginnenden Morgengrauen baute sich in Sarah eine gespannte Erwartungshaltung auf. Sie wollte mit vollem Einsatz Hilfe leisten. Aber sie war gleichzeitig auch fest entschlossen, herauszufinden, was es mit ihren verwirrenden Gedanken und Gefühlen auf sich hatte.
In der Klinik in Suva angekommen, wurden Sarah und Kevin dem medizinischen Direktor Dr. Singh vorgestellt. Sie war froh, als sie gemeinsam mit Kevin einem australischen Arzt im Operationssaal 2 zum Assistieren zugewiesen wurde.
Sie brachte ihren Reiserucksack in das neben dem Klinikgebäude als Sammelunterkunft für die Hilfskräfte ihres Teams aufgebaute Zelt und begab sich dann sofort zum Operationssaal 2. Bis dahin hatte sie schon so viel Leid und Elend gesehen, dass sie den ursprünglichen Beweggrund ihrer Anreise vollkommen lächerlich fand, nicht länger an Ben Dawson dachte, sondern sich ganz ihrer Aufgabe verschrieb.
„Schön, dass Sie hier sind“, begrüßte Dr. Richard Dean Kevin und Sarah freudig, als sich beide in Arztkittel und Schwesterntracht bei ihm und Schwester Elena, einer weiteren jungen Helferin, vorstellten. Dr. Dean hatte als australischer Tourist Suva besucht und sich nach dem Unwetter spontan als freiwilliger Helfer zur Verfügung gestellt. „Wir alle arbeiten hier im Ausnahmezustand – nicht ideal, aber wir werden tun, was wir können.“
Ohne weitere lange Vorrede gingen sie ans Werk, denn die Zeit drängte, und eine unüberschaubare Zahl von verletzten Menschen wollte ärztlich versorgt werden.
„Ich werde bei diesem Patienten noch die Wunde am Bauch versorgen, aber die Knieverletzung kann nur der Kollege mit Schwerpunkt Orthopädie sachgerecht behandeln“, sagte Dr. Dean, als er nach drei langwierigen Operationen mit Kevins Unterstützung gerade den vierten Verletzten behandelte. „Ist der Patient von vorhin im Operationssaal 1 wohl inzwischen fertig, Elena?“
„So gut wie, glaube ich. Ich gehe und schaue nach“, antwortete die Schwester.
„Hier steht uns ein auf Orthopädie spezialisierter Facharzt für Chirurgie zur Verfügung? Da haben wir aber Glück.“ Kevin war begeistert.
„Ja – und obendrein ist es wohl nicht irgendwer“, erklärte Dr. Dean. „Der Mann soll eine Koryphäe sein. Viele Leute reisen an, um von ihm privat behandelt zu werden. Angeblich operiert er vor
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