ROMANA EXKLUSIV BAND 231
würde. Was dachte sie sich überhaupt dabei, ihn so anzusehen? War sie völlig verrückt geworden?
Schließlich riss sie sich zusammen und trat einige Schritte zurück. Gabriel sah sie gequält an, während er in die Brusttasche des Hemds griff und ein gefaltetes weißes Papier herauszog. Joelles Herz schien einen Schlag lang auszusetzen. „Was ist das?“, fragte sie beklommen und stellte sich nun wieder neben ihn.
„Ich weiß nicht.“ Er atmete tief durch und faltete das Papier auseinander. Es war ein einzelnes liniertes Blatt, auf dem in krakeliger Schrift das Datum des Vortags und die Worte standen: „Gabriel und Joelle, hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau. Unterzeichnet von José Cuervo.“
José Cuervo war der Markenname des Tequilas, den sie getrunken hatten.
Verblüfft sahen Joelle und Gabriel einander schweigend an, bis sie es nicht länger aushielt. „Was bedeutet das?“, flüsterte sie. Sie wagte nicht, lauter zu sprechen, weil sie absurderweise Angst hatte, dann würde die ganze Welt von ihrem Fehltritt erfahren.
Gabriel antwortete nicht. Schließlich stieß sie ihn an. „Lafleur, antworte mir! Was bedeutet der Wisch?“
„Ich weiß es auch nicht“, erwiderte er mürrisch und zerknüllte das Papier. Dann warf er es in hohem Bogen in den Papierkorb. „Bingo! Ab in den Müll damit, wo es hingehört. Jetzt sind wir aus dem Schneider.“
„Bist du dir sicher?“ Joelle war noch immer wie vor den Kopf gestoßen von den turbulenten Ereignissen seit dem Aufwachen. Sie setzte sich aufs Bett und versuchte, sich zusammenzureißen.
„Jetzt hör mir mal zu“, begann Gabriel und stemmte wieder die Hände in die Hüften.
Unwillkürlich warf sie einen Blick auf seine Hände, die kräftig und zugleich feinfühlig wirkten, ja, ausgesprochen sinnlich. Die hatte er in der vergangenen Nacht zärtlich über sie gleiten lassen. Immer und immer wieder. Der Gedanke verschlug ihr den Atem. Sie schluckte trocken und sah Gabriel in die Augen. „Was wolltest du sagen?“
„Du hast doch gesehen, dass das Papier kein echtes Dokument ist. Kein Priester oder Standesbeamter würde uns einen handgeschriebenen Zettel als Trauschein ausstellen.“
„Ja, ich weiß, aber worauf willst du hinaus?“
„Der Zettel beweist nichts, jedenfalls nicht, dass wir verheiratet sind.“
„Das ist mir völlig klar. Aber wer könnte ihn geschrieben haben?“
„Ich habe keine Ahnung“, antwortete Gabriel. „Jeder beliebige Passant auf der Straße.“
„Du warst es also nicht.“
„Ich?“ Er klang überrascht. „Natürlich nicht.“ Mit zusammengekniffenen Augen sah er sie forschend an. „Warst du es?“
„Du träumst wohl, Lafleur!“ Zum ersten Mal seit dem Aufwachen war ihr nach Lachen zumute.
„Warst du es?“, wiederholte er.
Ihr wurde klar, dass er es ernst meinte. „Nein.“
„Dann sind wir wieder am Ausgangspunkt unseres Gesprächs: Wir wissen noch immer nicht genau, was wir letzte Nacht getan haben.“
Plötzlich fiel Joelle etwas sehr Wichtiges ein. Sie stöhnte entsetzt. „Um Himmels willen! Wie spät ist es eigentlich?“
Gabriel sah auf seine Armbanduhr, die auf dem Nachttisch lag. „Gleich halb zwölf.“
„Du meine Güte, ich bin ja wirklich zu blöd! In einer Stunde startet das Flugzeug nach San Diego, und ich bin noch nicht einmal angezogen.“
Rasch stand Joelle auf und eilte zu ihrem Gepäck, das sie glücklicherweise schon am Vortag gepackt hatte. Auf dem einen Koffer lagen griffbereit die Sachen, die sie anzuziehen beabsichtigte.
„Tu mir einen Gefallen“, bat sie Gabriel. „Ruf mir ein Taxi. Es soll in fünfzehn Minuten am Eingang bereitstehen.“ Sie eilte ins Bad.
Wenige Minuten später kam sie wieder heraus. Sie hatte geduscht und sich angezogen und war bereit zum Aufbruch. Zuerst dachte sie, dass Gabriel sich aus dem Staub gemacht hätte – die wahrscheinlich beste Methode, diesen Albtraum zu beenden. Dann sah sie ihn, den Rücken ihr zugewandt, vollständig angezogen am Fenster stehen. Plötzlich wurden ihr die Knie weich.
Sie sah sich noch einmal um, ob sie nichts liegen gelassen hatte. Dann nahm sie ein Gepäckstück in jede Hand und räusperte sich, um Gabriels Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er wandte sich ihr zu, die Hände in die Hosentaschen geschoben.
„So, ich muss jetzt los“, verkündete Joelle.
Er atmete tief durch. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
„Dann lass es“, erwiderte sie. Ihr Herz pochte wie rasend.
Gabriel lächelte
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