Romana Extra Band 1
Sie wusste, dass die Firma finanzielle Probleme hatte. Dass es so schlimm stand, wie Lyle behauptete, glaubte sie allerdings nicht, denn dafür lebte er privat auf zu großem Fuß. Trotzdem kannte sie ihn gut genug, um zu wissen, dass er für einen großen Auftrag bereit war, alles zu tun. Das erfuhr sie ja gerade am eigenen Leib.
Allerdings wurde ihr nun auch klar, dass sie sich von seiner Drohung, ihr zu kündigen, nicht allzu sehr einschüchtern lassen durfte. Sicher, wäre sie seiner Anweisung, hierher nach Estellencs zu kommen, nicht gefolgt, hätte er durchaus eine Arbeitsverweigerung geltend machen können, und so etwas stellte einen Kündigungsgrund dar. Daraus, dass es ihr nicht gelungen war, den Auftrag erfolgreich auszuführen, konnte er ihr aber keinen Strick drehen.
„Du vergisst, dass es einen Kündigungsschutz gibt“, hielt sie dagegen.
Sein Lachen war ihr Antwort genug. „Hör zu, Beth, was denkst du, wem man glauben wird, wenn ich behaupte, dass du mich unbedingt zurückwolltest und nicht bereit warst, ein Nein zu akzeptieren? Nach der Geschichte mit Horace Whitaker wohl eher mir.“
Mit diesen Worten beendete er das Gespräch, ehe Beth etwas erwidern konnte. Betroffen starrte sie auf das Telefon in ihrer Hand. Dann schleuderte sie es aufs Bett, barg das Gesicht in den Händen und versuchte, sich zu beruhigen.
Sie ging in die Küche, wo die anderen bereits am Tisch saßen. „Ah, dann sind wir also doch nur nicht zu dritt“, begrüßte Onkel Timothy sie erfreut. „Setz dich zu uns, Beth. Deine Schwester und deine Mutter haben churros gemacht – die besten, die je von Engländern in Spanien gemacht worden sind! Ich sage dir: Von denen wären sogar die Mallorquiner begeistert!“
„Na, dann werde ich ja wohl kaum widerstehen können!“ Beth zwang sich zu einem Lächeln und versuchte, nicht mehr über das Telefonat mit Lyle nachzudenken. Doch das war leichter gesagt als getan. Vor allem, wenn sie sah, wie glücklich Helen und Lindy waren.
„Wie ist es gelaufen, Liebes?“ Ihre Mutter, die aufgestanden war, um eine Kanne Tee aufzugießen, drehte sich halb zu ihr um. „Du hast doch mit deinem Boss gesprochen, oder?“
Beth nickte. „Es lief nicht besonders gut“, erwiderte sie nach kurzem Zögern. Wem half es, wenn sie versuchte, die Situation schönzureden? „Meine Chancen, diesen Auftrag zu einem positiven Abschluss zu bringen, stehen bei eins zu neunundneunzig. Trotzdem ist Lyle nicht einmal bereit, über eine Alternative nachzudenken.“
Ihre Mutter nickte. „Es sieht also schlecht aus“, stellte sie fest. Dann zuckte sie seufzend mit den Schultern. „Nun, wir werden schon irgendeinen Weg finden, alles wieder in Ordnung zu bringen. Das haben wir bisher immer, Liebes.“ Lächelnd wandte sie sich an ihre jüngere Tochter. „Lindy, bring deiner Schwester ein paar churros .“
Wieder fand Beth es erstaunlich zu sehen, wie gut Lindy inzwischen mit ihrem Handicap umging. Sie hielt den Teller mit der gesunden Hand und schob mit der anderen ein paar churros darauf. Obwohl sie merklich humpelte, war keines der Gebäckstücke auch nur verrutscht, als sie den Teller vor Beth auf den Tisch stellte.
„Bitte sehr, Schwesterherz.“ Lindy strahlte. „Ich weiß ja nicht, wie’s dir geht, aber ein paar gute churros helfen mir immer, meine Sorgen zu vergessen.“
Nichts wünschte Beth sich mehr, als dass es auch für sie so leicht wäre. Doch sie konnte nicht einfach vergessen, was auf dem Spiel stand. Im Augenblick mochten sie alle glücklich sein, aber das würde sich schlagartig ändern, wenn sie ihren Job verlor.
Timothy räusperte sich und unterbrach damit Beths Grübeleien. „Ich möchte kurz etwas loswerden“, verkündete er mit ungewohnter Ernsthaftigkeit. „Helen, nach deinem Anruf neulich, als du mich fragtest, ob du mit den Mädchen eine Weile lang bei mir unterkommen könntest, war ich zunächst ein bisschen skeptisch. Drei Frauen in einem reinen Männerhaushalt – konnte das wirklich gut gehen? Aber wisst ihr was? Ich habe bisher nicht eine Sekunde bereut, euch eingeladen zu haben. Jetzt, wo ihr hier seid, kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, wieder allein zu wohnen.“
Vor Rührung traten Beth Tränen in die Augen. Onkel Timothys Worte rührten etwas tief in ihrem Inneren. Und zu ihrer Überraschung erkannte sie, dass sie selbst sich inzwischen auch kaum mehr vorstellen konnte, von hier wegzugehen. War das nicht seltsam, wo sie doch noch vor ein paar Tagen
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