Romana Extra Band 1
verhielt sich nicht nur abweisend, sie war wirklich wütend. Ihre grauen Augen sprühten vor Zorn. Was war bloß in sie gefahren?
„Ich will dein Mitleid nicht, Luís!“, stieß sie erbost hervor. „Du schuldest mir rein gar nichts, verstanden?“
„Mitleid?“ Er schüttelte den Kopf. „Entschuldige, aber ich kann dir nicht folgen.“
Sie blinzelte. „Soll das heißen, du meinst das Angebot ernst?“
„ Maldita sea , was denkst du denn? Es geht um die Existenz meiner Firma. Ich habe dir doch von den Schwierigkeiten erzählt, in denen wir stecken. Ich dachte, die Situation würde sich nach einer Weile von selbst wieder entspannen.“ Seufzend fuhr er sich durchs Haar. „Aber bisher ist keine nennenswerte Verbesserung eingetreten. Wenn es so weitergeht, bin ich in spätestens vier Monaten pleite. Also erzähl mir bitte nicht, dass ich dir einen Job anbiete, bloß weil ich Mitleid mit dir hätte!“
Einen Moment lang zögerte Beth noch, dann machte sie sich von ihm los. „Also schön“, sagte sie. „Was kann ich tun?“
Als Beth einen Tag später an Onkel Timothys Schreibtisch saß, um die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses bei Beckham Real Estate aufzusetzen, konnte sie ihr Glück kaum fassen. Das Angebot, das Luís ihr gemacht hatte, war ein Geschenk des Himmels. Wenn sie es annahm, konnte sie in Zukunft in dem Bereich tätig sein, in dem sie ausgebildet war und ihre ersten beruflichen Erfahrungen gesammelt hatte und der im Grunde immer der Job ihrer Träume geblieben war.
Doch es gab noch weitere Vorteile. Helen und Lindy waren außer sich vor Freude, weil sie nun vorerst in Estellencs bleiben konnten. Und auch Onkel Timothy schien froh darüber zu sein, in der nächsten Zeit nicht allein wohnen zu müssen. Früher oder später würden sie vermutlich ein kleines Häuschen in der Nähe anmieten. Aber für den Augenblick wollte Beth so viel Geld wie möglich zur Seite legen, damit Lindy möglichst bald wieder ihre Therapie in Palma aufnehmen konnte.
Auf diese Weise wurden gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Beth konnte endlich wieder in ihrem eigentlichen Beruf arbeiten, ihre Familie war glücklich – was wollte sie mehr?
Einzig Lyle würde sicher nicht begeistert sein, wenn er ihre Kündigung erhielt. Doch was blieb ihm anderes übrig, als ihre Entscheidung zu akzeptieren? Sie hatte den Vertrag zwar nicht dabei, aber sie erinnerte sich, dass er eine Kündigungsfrist von vier Wochen vorsah. Und da Beth, seit sie für Beckham Real Estate arbeitete, keinen Tag Urlaub genommen hatte, konnte sie ihre Arbeit praktisch gleich heute niederlegen.
„Was machst du da?“ Lindy trat ins Zimmer und kam an den Schreibtisch. Beth blickte sie an, und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Ich baue uns eine Zukunft auf“, sagte sie. „Eine gemeinsame Zukunft, hier in Estellencs.“
9. KAPITEL
„Es ist schon nach drei – willst du nicht mal eine Pause einlegen?“
Beth blickte von dem Haufen Blätter auf, der vor ihr auf dem Tisch ausgebreitet lag, als sie Luís’ Stimme hörte. Sie blinzelte irritiert. Über dem Entwurf des Marketingkonzepts für Alquiler Santiago hatte sie vollkommen die Zeit vergessen. Das war ihr sehr lange nicht mehr passiert.
Sie hatte die Veränderung bereits am Morgen gespürt. Als sie aufgewacht war und am liebsten gejubelt hätte bei dem Gedanken, dass ihr erster Arbeitstag für Luís bevorstand.
Nun, genau genommen arbeitete sie noch gar nicht für ihn. Offiziell war sie nämlich noch immer bei Lyle angestellt, nahm aber gerade ihren Resturlaub in Anspruch. Dass sie schon heute an dem Konzept für die Werbekampagne bastelte, die Alquiler Santiago wieder zurück in die schwarzen Zahlen bringen sollte, war eine reine Gefälligkeit.
Das Einzige, was sie irritierte, war, dass sie bisher noch nichts von Lyle gehört hatte. Es passte so gar nicht zu ihm, mit keinem Wort auf ihre Kündigung, die sie immerhin vor einer Woche abgeschickt hatte, zu reagieren.
Doch sie beschloss, nicht darüber nachzugrübeln und stattdessen lieber zu genießen, dass es das Schicksal so gut mit ihr meinte. Zum ersten Mal seit langer Zeit verspürte sie wieder etwas von ihrem früheren Tatendrang.
Was ist anders? fragte sie sich verwundert. Sie hatte so lange für Lyle gearbeitet, doch mit einem derartigen Hochgefühl war sie nicht ein einziges Mal ins Büro gegangen.
Die Antwort lag auf der Hand: Es war Luís. Es fühlte sich gut an, in seiner Nähe zu sein. Er
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