Romana Extra Band 6
Geistereukalyptus – hatte Varo bereits zu sehen bekommen. Der hohe, weitverzweigte Stamm mit den dunkelgrünen Blättern und der weißen Rinde, die im Sonnenlicht weithin leuchtete, hatte ihn tief beeindruckt.
„Sie können hier anhalten“, meinte Ava, als sie den Wasserfall fast erreicht hatten.
Sobald der Motor schwieg, hörten sie das Rauschen des Wassers, das sich in einem erstaunlich breiten Strahl in das Felsbecken ergoss. Varo trat dicht ans Ufer und blickte in die Tiefe hinab. Die silbern glitzernde Oberfläche warf sein Spiegelbild zurück – ebenso das von Ava, die wie eine Vision hinter ihm auftauchte.
„Es ist so heiß“, sagte er. „Wäre ein Bad nicht schön?“
„Mit oder ohne Badeanzug?“ Der leichte Spott sollte von ihrer wachsenden Verlegenheit ablenken.
„Halten Sie es nicht für die Pflicht einer guten Gastgeberin …“
„Varo“, unterbrach sie ihn und sah ihm in die dunklen, vor Übermut blitzenden Augen. „Ich gehe davon aus, dass Sie nur Spaß machen.“
„Und wenn ich nun wirklich Lust hätte? Das Wasser ist kristallklar.“ Er bückte sich und tauchte eine Hand hinein. „Und erfrischend kühl.“
„Ich fürchte, Sie machen mich ein bisschen nervös“, sagte Ava leise.
Varo richtete sich wieder auf. „Sie sind absolut sicher bei mir.“
„Das weiß ich“, erklärte sie hastig, „und Sie wissen, was ich meine. Wenn Sie schwimmen wollen, verweise ich Sie auf unsere zahlreichen Lagunen. Dev, Mel und ich haben unzählige Male in unserer Lieblingslagune Half-Moon gebadet. Dort wachsen die schönsten Wasserlilien von ganz Kooraki . Ich meine den heiligen blauen Lotus. Er blüht zwischen dem Schilf, das rundum die Ufer säumt. In der Mitte ist die Lagune ziemlich tief. Wenn Sie Lust haben, können Sie dort baden … oder auch picknicken.“
„Mit Ihnen?“
„Vielleicht“, antwortete sie und wandte sich schnell ab.
„Maravilloso!“ Varo sah sie im Geist vor sich – eine Nymphe mit langem goldblondem Haar und einer Haut, die wie Perlen schimmerte.
Ava beglückwünschte sich zu ihrer Selbstbeherrschung, obwohl sie schwer darum kämpfen musste. „Dort oben befindet sich eine Höhle“, sagte sie und zeigte auf die gegenüberliegende Felswand. „Sie führt so tief in den Berg hinein, dass ich immer Angst hatte, nicht zurückzufinden, falls ich zu weit gehen würde. Der Eingang ist teilweise von Akaziengebüsch und Schlingpflanzen verdeckt. Man muss sich bücken, wenn man hineingeht, aber weiter hinten ist das Gewölbe über zwei Meter hoch.“
„Ist die Decke nie über jemandem eingebrochen?“, fragte Varo, der jetzt ebenfalls hinaufsah.
Ava schauderte. „Nein, niemals. Aber ich würde mich nie so weit hineinwagen wie Dev. Sogar Mel bekam es dort mit der Angst. Viele Besucher fürchten sich vor unseren Naturheiligtümern wie Uluru oder Kata Tjuta . Das Tal der Winde ist ihnen besonders unheimlich … vor allem bei stürmischem Wetter. Es ist eine ganz andere Welt.“
„Die ich unbedingt kennenlernen muss“, erklärte Varo und reichte ihr seine Hand. „Darf ich Ihnen helfen?“
Wie warm seine Stimme klang! Das Herz ging ihr dabei auf. Da ihr keine passende Ausrede einfiel, legte sie ihre Hand in Varos und spürte, wie sich seine langen, schlanken Finger darum schlossen. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass mit diesem Mann nichts normal verlaufen würde. Diese ständige, mühsam unterdrückte Erregung, das Gefühlschaos – das alles war neu für sie. Selbst in ihren Träumen hatte sie bisher nichts Ähnliches erlebt.
Gemeinsam stiegen sie zu der Höhle hinauf. Ein Wallaby, das sie erschreckt hatten, sprang auf und jagte den felsigen Abhang hinunter. Als Ava einmal den Halt verlor, legte Varo schützend den Arm um sie. Sie schrie leise auf, aber nicht etwa aus Angst. Eine viel größere Gefahr nahm ihr den Atem.
Je höher sie kamen, desto lauter rauschte der Wasserfall. Kräftige Spritzer trafen sie, reichten allerdings nicht aus, um sie ernstlich nass zu machen. Ava sog die kühlen Tropfen ein und benetzte damit ihre trockenen Lippen.
Das Gelände wurde immer schwieriger, aber Ava setzte die Füße quer, wie sie es schon als Kind getan hatte. Varo schien der geborene Bergsteiger zu sein, gemessen an der Mühelosigkeit, mit der er aufstieg. Schwer atmend, erreichten sie endlich die Plattform vor der Höhle, von der man einen weiten Blick über die endlose Ebene hatte. Keine einzige Wolke stand am azurblauen Himmel.
„Wunderbar!“, rief Varo
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