Romanzo criminale
er beim Spielen die Rolle des Dominanten eingenommen, und der arme Junge war … aufgrund eines Unfalls … aufgrund eines Unglücks … nicht, weil er es gewollt hätte … nicht mehr aufgestanden. Patrizia kannte keine Gnade. Ranocchia fand sich auf der Straße wieder, mit einem Haufen Geld, das ihm zustand, und einer schrecklichen Leere im Herzen. Auf der Piazza Navona riss er einen Araber auf und ging mit ihm in eine Pension hinter dem Bahnhof. Der Araber hatte eine Art Messer bei sich, ein lächerliches Taschenmesser. Während er begann, ihn aufzuritzen, schloss Ranocchia die Augen und stellte sich vor, er sei der hl. Sebastian wie auf einem Gemälde.
1 Vgl. Sciascia, Leonardo,
Die Affäre Moro
, Königstein/Ts. 1979.
Januar–Juni 1979
Die Idee
I.
Die rote Brut bedroht unsere Heimat. Die Bolschewiken mit ihren roten Krallen warten nur darauf, sich die Nation unter den Nagel zu reißen. Die Democrazia Cristiana paktiert mit den Kosaken, die aufstampfen, um auf dem Petersplatz ihre Pferde zu tränken: Offenbar ist ihnen Moro keine Lehre gewesen. Die Straßen sind in der Hand einer Bande Jugendlicher, denen die Marxisten den Kopf verdreht haben. Die Wirtschaft geht den Bach hinunter, zur großen Freude der jüdischen Bankiers. Amerika ist zu weit weg, um einzugreifen. Wir sind hier nicht in Chile und leider zeichnet sich am Horizont auch kein Pinochet ab. Man muss von innen her agieren. Wie in Griechenland. Wenn das System faul ist, muss man es abschaffen und ein anderes an seiner Stelle errichten. Wenn ein Glied Wundbrand hat, muss man es amputieren. Es ist sinnlos und selbstmörderisch zu warten, bis sich die Infektion ausgebreitet hat. Deshalb ist der Zeitpunkt gekommen, alle Kräfte, die gegen das System sind, zu sammeln und ein großes Säuberungsprojekt in Angriff zu nehmen. Alle zu vereinen, alle Angehörigen der Streitkräfte, der Polizei, der Richterschaft, der Kirche, der Universitäten und auch der Politik, die sich nicht damit abfinden wollen, Reis zu fressen und sich von Mongolen und Mungiki mit Füßen treten zu lassen. Sie alle vereinen, aber vor allem die Leute von der Straße nicht vergessen. Militante Idealisten, Mafiosi, entlassene Soldaten und sogar Diebe, Mörder, die, die von den larmoyanten Kommunisten als „Kriminelle“ bezeichnet werden. Alle vereint im gemeinsamen Kampf gegen den Staat, der vom roten fünfzackigen Stern korrumpiert wurde. Denn nur wenn man heute alles zerstört, kann man morgen alles neu aufbauen. Nur wenn man die alte Ordnung zerstört, kann man morgen die neue Ordnung errichten.
Wenn Professor Cervellone mitten in seiner Brandrede Atem holen musste, was allerdings selten passierte, strich er sich mit einem bestickten Taschentuch über die hohe Stirn, griff sich mit der Hand zwischen die Beine und an die Beule in der engen Hose und sah ihnen der Reihe nach in die Augen, mit flackerndem Blick.
Sie antworteten mit zerstreuten Blicken und wohlerzogenem Lächeln. Sie täuschten ein gewisses Interesse vor, und das reichte dem Professor – der die Signale, die sie ihm vorsichtig sandten, absolut nicht zu deuten wusste –, um eine neue Tirade anzustimmen. Nun ließ er den Blick über die Wände des Arbeitszimmers schweifen – Drucke mit Jagdszenen, futuristisches Gekritzel, ein überlebensgroßes Foto von einem berühmten japanischen Schriftsteller, der Harakiri begangen hatte, Flaggen der Republik von Salò, noch eine Flagge mit einer eigenhändigen Widmung des Fürsten Junio Valerio Borghese, „den kühnen Kämpfern der X MAS-EIA EIA EIA ALALÀ“ – bis sein Blick vorwurfsvoll auf Dandi fiel, der sich höchst konzentriert die Nägel feilte.
– Wie ich schon sagte, wie ich schon sagte … es geht darum, eine Koalition von Kriminellen zu gründen. Wir müssen Panik säen. Einen Feldzug des Terrors beginnen, bei dem selbst Robespierre erbleichen würde. Niemand darf sich mehr sicher fühlen auf den Straßen, im Stadion, im Zug, nicht einmal im eigenen Haus. Die Menschen sollen sich bestürzt fragen: Wo sind wir? In welcher Welt leben wir? Und die sich daraus ergebende Frage muss lauten: Wer kann uns retten? Dann werden sie gelaufen kommen, sich in unsere Arme werfen. Und wir sind bereit, sie zu empfangen! Das meine ich, wenn ich von einer „Koalition der Kriminellen“ spreche. Die Beine und die Arme, die im Takt des Ordine Nuovo marschieren!
Das bedeutete, übersetzte Freddo, dass sie ein paar Bomben legen oder den Roten ein paar Kugeln in den Kopf jagen
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