Romeo für immer, Band 02
Liebe ist.
In meinem Inneren ist es dunkel. Meine Wut ist so unbändig, mein Hass so groß, dass selbst die schreienden Stimmen in meinem Kopf verstummen. Es gibt keinen Raum für sie. Ich gehe durch den dichten, dunklen Nebel meines alles erstickenden Hasses, der mich wie ein dunkler Mantel umhüllt, zu Zimmer dreiundfünfzig und klopfe an die Tür.
Gemma öffnet sofort. Sie blinzelt gegen das Sonnenlicht. »Hey! Mikeist noch unterwegs. Er ist nach San Luis gefahren, um ein paar Sachen aus seiner Wohnung zu holen«, sagt sie. »Wie sieht’s aus? Hastdu … « Ihr Lächeln erstirbt, als sie mich ansieht. »Was ist los, Ree?«
Ich schlucke und versuche zu lächeln, aber es gelingt mir nicht. Meine Gesichtsmuskeln sind wie erstarrt. Ich kann mich für ihn verstellen, aber nicht für sie. Nicht nach allem, was ihre Mutter mir erzählt hat.
»Oh Gott! Es ist etwas schiefgelaufen, stimmt’s? Verdammt!« Sie seufzt und lehnt sich ein wenig vor, um mit ihren Blicken den Parkplatz abzusuchen. Dann zieht sie mich ins Zimmer. »Na komm, ich hole dir eine Cola. Dann erzählst du mir alles.«
Das Zimmer ist dämmrig, Mike und Gemma haben die Vorhänge gegen neugierige Blicke vorgezogen. An der linken Wand stehen zwei Doppelbetten. Eines ist noch unbenutzt, die dunkelgrüne Tagesdecke liegt ordentlich darüber. Das andere Bett ist völlig zerwühlt, die Laken zerknüllt, die Kopfkissen zerdrückt. Gemma und Mike schlafen anscheinend eng zusammengekuschelt in der Mitte des Bettes. So wie Romeo und ich in der vergangenen Nacht.
Ich schließe die Augen und stöhne leise auf. Der Schmerz ist kaum auszuhalten, er ist noch schlimmer als heute Morgen. Kummer und Leid zerfressen mich.
»Ree? Du machst mir Angst, Ree«, sagt Gemma besorgt.
Ich öffne die Augen. Sie steht vor mir und nimmt behutsam meine Hände in ihre. Ich spüre ihre Berührung kaum. Meine Haut ist gefühllos und taub, eine tote Hülle. Eine undurchdringliche Rüstung, die mich im bevorstehenden Kampf vor Verletzungen schützen wird.
Aber zuerst muss ich mich um die Sicherheit meiner einzigen Freundin kümmern.
»Entschuldige.« Ich lasse mich von ihr zu dem kleinen Tisch in der Ecke ziehen und setze mich auf einen der beiden Stühle. Während sie eine Coladose öffnet und vor mir abstellt, ziehe ich aus der Jackentasche meines Kapuzensweaters eine kleine Plastiktüte. »Hier sind deine Sachen.« Ich lege die Tüte auf den Tisch und schubse sie mit einem Fingerschnipsen in ihre Richtung. »Ich hatte meinen Rucksack vergessen, deshalb habe ich sie in den Plastikbeutel getan und in meiner Jackentasche versteckt.«
»Danke«, sagt Gemma. Aber sie greift nicht nach der Tüte. Stattdessen sieht sie mich besorgt an. »Was ist los? War mein Vater da? Hat meine Mutter dich erwischt, oder … «
»Ja, hat sie.«
»Scheiße!«
»Aber es war nicht schlimm.« Weil sie nicht mehr deine Mutter war, füge ich in Gedanken hinzu. Es hätte keinen Sinn, Gemma die Wahrheit zu sagen. Sie würde mir nicht glauben, dass eine andere Seele im Körper ihrer Mutter wohnt – eine Botschafterin des Lichts, die ausgesandt wurde, mich zu beschützen –, genauso wenig, wie sie mir die Sache mit Romeo geglaubt hat. Dabei stimmt es. Romeo gibt es wirklich. Alles, was er mir erzählt hat, stimmt. Aber das mildert meinen Hass nicht. Ganz im Gegenteil. Die Wut, die mich heute Morgen befiel, als ich befürchtete, Dylan habe mir Romeo nur vorgespielt, war eine sanfte Brise, verglichen mit dem Zorn, der jetzt in mir lodert.
»Ree? Ariel?«
Romeos Geschichte ist wahr. Abgesehen von der Sache mit der Liebe natürlich. Das war gelogen. Ich hätte es wissen müssen.
Romeo wurde zu mir geschickt, um mich hereinzulegen. Und wenn er merkt, dass es ihm nicht gelingt, wird er mich töten. So wie beim ersten Mal. Ich habe es selbst gesehen und am eigenen Leib gespürt, was es bedeutet, eine Kugel in den Kopf zu bekommen. Ich habe die Zufriedenheit in seinem Gesicht aufleuchten sehen, als er abgedrückt hat. Er hat es genossen . Es stand in seinen Augen. Die Botschafterin im Körper von Mrs Sloop hat mich durch ihre Berührung alles sehen lassen. Sie nahm meine Hand und schickte mir die Bilder von Romeos Schreckensherrschaft in meine Gedanken. So hat sie mich davor bewahrt, ihm ein zweites Mal zum Opfer zu fallen.
Sie hat mich die Menschen sehen lassen, die er getötet hat. Unzählige Männer und Frauen hat er mit seinen raffinierten Lügen dazu getrieben zu morden. So wurden sie ebenfalls zu
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