Romeo für immer, Band 02
Julia daraufhin das Haar aus dem Gesicht streicht, erfüllt mich mit Zuversicht. Noch bevor er mitfühlend die Worte »du Ärmste« murmelt, weiß ich, dass er sie lieben wird. Seine Worte zaubern ein Lächeln in Julias erschöpftes Gesicht.
»Ben«, flüstert sie und greift nach seiner Hand.
»Nur meine Mutter nennt mich so«, sagt Benvolio verwundert. »Hast du ihr das etwa erzählt?«, fragt er mich.
»Gar nichts habe ich ihr erzählt.« Ich bette Julia in Bens Arme. Es wird sicher nicht mehr lange dauern, bis er begriffen hat, dass sie genau dort hingehört. »Sie braucht dringend Wasser und viel Schlaf. Und jemanden, der sich um sie kümmert. Am besten bringst du sie zum Haus deiner Eltern. Aber sieh zu, dass sie den Capulets nicht in die Hände fällt. Nicht, bevor sie wieder ganz gesund ist. Schon gar nicht ihrer Mutter. Lass nicht zu, dass ihr jemand wehtut.«
»Das werde ich nicht«, verspricht er. »Du musst von hier verschwinden, Cousin. Nimm mein Pferd. Man sagt, sie wollen dich hängen. Ich habe die Männer der Wache darüber reden hören.«
»Ich verschwinde sofort, aber erst muss ich … «
»Nein! Ich kann nicht! Lasst mich sterben!« Der Schrei kommt aus dem Glockenturm hoch über dem Wüten der Flammen.
Ich wirble herum. Ariel …
Ariel
I ch lehne mich aus der Maueröffnung und stoße die Leiter weg. Ich zittere, obwohl im Turm glühende Hitze herrscht.
Das Mädchen, mit dem Romeo gesprochen hat, bevor der Junge auf dem Pferd angeritten kam, war Julia. Sie muss es sein. Romeo und sie sind von einer Aura aus Liebe, Hass und Bedauern umgeben. Sie kennen sich wohl gut, auch wenn sie sich nicht zu mögen scheinen.
Zumindest mag sie ihn nicht. Er dagegen hat sie angelächelt …
Eigentlich müsste ich eifersüchtig sein, aber ich bin mir Romeos Liebe diesmal absolut sicher. Außerdem bin ich viel zu verängstigt, um eifersüchtig zu sein.
Ich habe gehört, was die Männer gerufen haben, als sie auf die Kirche zuritten. Sie wollen Romeo in den Kerker werfen. Ich weiß nicht besonders viel über das mittelalterliche Italien – von Rosalines Erinnerungen sind mir nur ein paar Dinge des Alltaglebens geblieben –, aber ich kann mir lebhaft vorstellen, wie Kerkerhaft im vierzehnten Jahrhundert aussieht. Romeo kommt da nicht lebend raus.
Wenn ich ihn nicht rette, wird nichts aus unserer gemeinsamen Zukunft.
»Rosaline!« Romeo steht am Fuß des Glockenturms und hilft den Männern, die Leiter vom Boden aufzuheben. »Bitte! Lass uns die Leiter aufstellen. Ich komme hoch und helfe dir hinunterzuklettern.«
Ich lehne mich aus der Maueröffnung und rufe in Rosalines Sprache: »Ich kann nicht!« Zum Glück ist mir die Erinnerung an ihre Sprache geblieben, nachdem ihre Persönlichkeit mit meiner verschmolzen ist. »Das kann ich nicht tun!« Ich schaue Romeo in die Augen. Hoffentlich durchschaut er mein Vorhaben. Ich bete insgeheim, dass er mitspielt. »Ich schäme mich zu sehr.«
»Du musst dich nicht schämen«, versichert er. Irritiert und neugierig erwidert er meinen Blick. »Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch«, schluchze ich. »Bis in alle Ewigkeit.«
»Dann komm jetzt runter. Bitte!«
Die Männer, die unserem Wortwechsel zugehört haben, sehen erst Romeo an, dann mich. Genau in diesem Moment schwinge ich mein Bein über die Mauer und beginne, am Seil hinunterzuklettern. Ich hoffe, dass der Anblick, der sich den Männern nun bietet und mit dem ich Romeo vorhin noch gefoppt habe, sie ablenkt und mir Zeit zum Nachdenken verschafft. Während ich am Seil hin und her schwinge, versuche ich, mich zu sammeln. Meine Kraft und Stärke habe ich einzig und allein Romeo zu verdanken. Ich liebe ihn und werde nicht zulassen, dass er ihnen in die Hände fällt. Ich glaube, ich weiß, was ich sagen muss, um ihn vor dem Kerker zu bewahren.
Ich bin Rosaline DeSare, ein Mädchen, das überall für ihre Tugend und Frömmigkeit bekannt ist. Aber auch tugendhafte, fromme Mädchen verlieben sich mitunter in den Dorfschurken. Und wenn sie das tun, dann sinken sie besonders tief und fallen sehr hart. Es gibt nur eines, das ihre Ehre retten kann – zumindest in dieser Zeit.
Als ich das Ende des Seils erreicht habe, lasse ich los. Noch während des Sturzes sammle ich Mut für mein Vorhaben. Tränen brennen in meinen Augen, meine Kehle ist wie zugeschnürt, und mir ist schwindlig. Mein Atem geht schnell und stoßweise.
Ich werde von vielen starken Armen aufgefangen. Auch von Romeos. Ich klammere mich an seine
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