Romeo für immer, Band 02
Flasche und schnuppere daran. Hmm, sehr gut. Ein Portwein, stärker als Wein, aber genauso köstlich. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, und ich versuche abzuwägen, ob ein Schluck Portwein die beruhigende Wirkung meiner Worte zunichtemachen würde.
»Aber ich hätte uns beinahe umgebracht!« Ariel hat mitbekommen, dass ich am Portwein schnuppere, und beobachtet mich misstrauisch aus den Augenwinkeln.
Ich lasse die Flasche wieder unter meinem Hemd verschwinden und versuche mich so zu verhalten, als würde mich der Gedanke an Mord und Selbstmord betrüben. »Aber du hast niemanden umgebracht«, entgegne ich und senke meine Stimme angesichts des unglaublich ernsten Themas. »Und du wirst es auch nie wieder versuchen.«
Sie schüttelt den Kopf. »Nein. Bestimmt nicht. Ich … nie wieder!«
Ich widerstehe dem Drang zu lachen. »Du könntest dich wenigstens bemühen, etwas überzeugender zu klingen.«
»Ich kann selbst kaum fassen, was ich getan habe«, gesteht sie. »Aber in dem Moment und auch kurz danach noch … war ich … ich war so unglaublich wütend … ich wollte wirklich, dass wir beide … «
Ich lege meinen Arm um ihre Taille. Sie zuckt zusammen, weicht aber nicht aus. »Ich verstehe, warum du mich tot sehen wolltest.« Ich beuge mich zu ihr hinunter und lasse ihren Duft in meine Nase strömen. Sie riecht besser als die Frühlingsnacht. Lieblich. Berauschend. Mein Griff wird fester, ihr stockt der Atem. Meine nächsten Worte flüstere ich nah an ihren Lippen. »Aber du darfst dich nie wieder so in Gefahr bringen. Weder wegen mir noch wegen sonst jemanden. Wegen niemanden. Du verdienst ein langes, glückliches Leben.«
»Meinst du das wirklich?«
»Ich weiß es! Du bist ein guter Mensch«, betone ich und stelle mir vor, wie stolz Julias Amme wäre, wenn sie hören könnte, wie ich mich bemühe, Ariel von ihren guten Seiten zu überzeugen.
»Hm.« Sie klingt skeptisch. »Hast du nicht eben erst gesagt, ich sei verrückt?« Sie legt ihre Hände auf meine Brust und versucht, mich mit sanftem Druck abzuwehren, aber ich lasse sie nicht los.
»Man kann doch verrückt sein und gleichzeitig ein guter Mensch. Die meisten guten Menschen sind verrückt. Ich bin auch verrückt und bin trotzdem zufrieden mit mir.«
»Offensichtlich.« Sie rümpft die Nase. Bezaubernd. Ihre schmale Taille fühlt sich gut an. Sehr gut sogar.
»Also … « Ich ziehe sie noch enger an mich, rieche den Duft unseres Essens in ihrem Atem und denke daran, wie lange es her ist, seit ich eine Frau geschmeckt habe. »Bist du verrückt genug, mir noch einen Kuss zu erlauben?«
Bevor ich weiß, wie mir geschieht, dreht sie sich zur Seite und hat sich aus meinem Arm befreit. »Nicht heute Abend.«
Na gut. Man kann einem ausgehungerten Mann nicht vorwerfen, einen Versuch gewagt zu haben.
»Morgen Abend vielleicht?«, scherze ich mit einem Augenzwinkern.
Sie sagt kein Wort, verschränkt die Arme und fixiert mich mit ihren großen blauen Augen, die in ihrem jungen Gesicht so seltsam erwachsen aussehen. Sie ist im Grunde noch ein Kind, dessen schmaler und schlaksiger Körper trotz der hübschen Rundungen noch nicht voll entwickelt ist und weit entfernt davon, erwachsen zu sein. Aber ihre Augen wirken irgendwie … alt. So alt wie Julias Augen, doch längst nicht so steinalt wie meine. Ich habe mehr gesehen, als ein Lebewesen sehen sollte. Ich bin ein alter Mann, uralt.
Wenn Ariel wüsste, wie alt ich bin, würde sie mich niemals so nahe an sich heranlassen. Nicht eine Sekunde. Dieser Körper, in dem ich stecke, mag vielleicht achtzehn sein, aber meine Seele ist so alt wie der Urgroßvater des Ururgroßvaters ihres Urururgroßvaters und so weiter, und so fort. Sie wäre abgestoßen.
Vielleicht ja auch nicht. Vielleicht würde sie verstehen, dass die Jahrhunderte, die ich im Reich der Toten gefangen war, ein Albtraum gewesen sind, aus dem ich gerade erst langsam erwache. Ich war kaum sechzehn, als ich Julia verraten habe. Und trotz allem, was ich durchgemacht habe, ist ein Teil von mir immer noch ein Junge. Vielleicht versteht Ariel das. Dieses Mädchen mit dem erwachsenen Blick scheint sich mit Albträumen auszukennen.
»Nein!«, antwortet sie, völlig unbeeindruckt von dem, was sie in meiner Miene gelesen haben mag.
»Warum nicht?«
»Ich traue dir nicht.«
Das darfst du auch nicht. Auf keinen Fall. Niemals!
Ich nicke. »Das ist verständlich. Lamentabel, aber verständlich.«
Ihre Nase kräuselt sich.
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