Romeo für immer, Band 02
die Hüften.
Ich balle kampfbereit die Fäuste, obwohl ich weiß, dass mir das im Zweifelsfall nichts nützen wird, denn diese Frau verfügt über eine unglaublich starke Magie. Sie könnte einen neuen Lichtball heraufbeschwören und ihn auf mich zurasen lassen. Dann wäre ich erledigt und wieder in meinem abscheulichen, verrotteten Körper gefangen. Aber ich werde nicht kampflos aufgeben, ich werde es ihr so schwer wiemöglich machen. Ich habe noch nie jemandem etwas leicht gemacht.
»Steig ein«, befiehlt sie.
Ich zögere, alles in mir schreit danach abzuhauen.
»Steig in den Wagen, Romeo«, befiehlt sie nochmals. »Ich wäre sonst nicht nur sehr enttäuscht von dir, sondern würde auch noch sehr, sehr böse werden.«
»Aber Ariel ist … «
»Ariel befindet sich im Augenblick außerhalb deiner Reichweite. Wenn du daran etwas ändern möchtest, dann komm jetzt mit mir.« Sie wendet sich ab und geht zum Auto. Ich werfe einen letzten Blick zurück, dann folge ich ihr. Wenn ich mir einen Platz unter den Botschaftern erkämpfen will, dann bleibt mir keine Wahl.
Ich bin ein Sklave und muss gehorchen. Dass ich fühlen, schmecken und riechen kann und neue, alte Gefühle in mir entdeckt habe, ändert daran nichts.
5
Ariel
I ch renne schon wieder, aber diesmal geben nicht Worte den Takt vor, sondern nackte Angst. Das Herz schlägt mir bis zum Hals, ich ringe verzweifelt nach Luft, mein ängstliches Wimmern lässt meinen Brustkorb schmerzvoll erbeben, während das, wovor ich mich so sehr fürchte, immer näher kommt.
Die Sterne verschwimmen vor meinen Augen, die Nacht ist dunkel, scharfkantig und gefährlich. Ich krümme mich auf der Straße, renne weiter, kauere mich erneut zusammen und laufe schließlich auf eine Wiese. Lange Grashalme biegen sich unter meinen Schuhen. Ich laufe in einen Bach, springe erschrocken zurück und hetze über einen neu angelegten Weinberg, als könne ich durch Weglaufen dem Wahnsinn entkommen. Aber das kann ich nicht. In Wahrheit spielt es keine Rolle, was ich geglaubt habe, auf dem Spielplatz gesehen zu haben. Das Ungeheuer ist in mir, es ist ein Produkt meines kranken Gehirns.
Wellen in der Luft … unsichtbare Krallen, die Löcher in die Nacht reißen …
Wahrscheinlich habe ich mir die Wellen nur eingebildet. Ich bin betrunken und kann nicht mehr klar denken, habe Halluzinationen. Vielleicht war es ja eine Art Traum. Ich werde nicht verfolgt. Nein! Etwas ergreift Besitz von mir! Ich hatte gedacht, meine Wut sei bei Weitem nicht groß genug, um einen Schub hervorzurufen, aber anscheinend war das ein Irrtum.
Heute ist die Nacht der Irrtümer, eine Nacht, in der alles Schöne scheußlich wird.
Ich stolpere über etwas, was ich im schwachen Mondlicht übersehen habe, und falle zu Boden. Ich nehme den Geruch von Erde und Düngemittel wahr, und dann schlägt es zu. Die Kälte stößt mir in den Rücken, sticht mir in die Haut wie tausend kleine Messer aus Eis. Mein Rücken schmerzt, und jeder Muskel verkrampft sich, als mein Körper versucht, sich gegen den Schmerz zu wehren, aber es ist unmöglich. Die Kälte kriecht mit rasiermesserscharfen Klingen bereits mein Rückgrat hoch, sticht in mein Gehirn und ebnet den Weg für Heulen und Klagen.
Nicht ich. Nicht ich!
Tief in mir erklingt ein Schrei. Einen Augenblick lang habe ich völlig verrückte Gedanken. Was, wenn ich die Wellen tatsächlich gesehen habe? Wenn ich durch den Wein meine Kontrolle verloren und tatsächlich Dinge wahrgenommen habe, von denen ich bisher nur nicht wusste, dass sie existieren? Vielleicht gehören die Stimmen ja jemandem. Einem bösen Geist, einem Dämonen oder …
Die Schreie stürmen auf mich ein wie ein Hurrikan, der über die Küste fegt, erfassen mich und zerstören jeden weiteren Gedanken. Verzweifelte Schreie hallen in meinem Kopf wider, Töne von unendlicher Traurigkeit, die sich wie ein tiefer See in mich ergießt und mich überschwemmt. Ich ertrinke darin, stürze in tiefe Bewusstlosigkeit und nehme Elend und Qual mit in die Dunkelheit.
Romeo
W ir fahren schweigend in die Berge. Lassen die Weinberge hinter uns, fahren an einem See vorbei und an Wäldern aus uralten, knorrigen Eichen, biegen auf eine enge, schmutzige Straße, die sich durch scheinbar endloses, verlassenes Weideland schlängelt. Eine Straße ins Nichts. Genau der richtige Ort, um eine Leiche zu entsorgen.
Damit kenne ich mich aus. Ich habe selbst schon so manche Leiche verschwinden lassen.
Mir kommt es vor, als wären wir
Weitere Kostenlose Bücher