Romeo für immer, Band 02
gieren lassen, und nicht meine eigene Seele.
»Ich habe sie schon einmal getötet«, antworte ich schließlich. »Ich möchte nicht ein zweites Mal die Schuld an ihrem Tod tragen.«
Die Amme neigt den Kopf. »Das überrascht mich, ich bin erfreut.«
»Es ist mein Lebenszweck zu erfreuen, holde Dame.«
Ein Lächeln umspielt ihre Lippen. »Spar dir das für Ariel, mein Junge. Ich bin immun gegen deinen Charme.«
Ich seufze. »Ich wollte nur sicher sein, dass sie … «
»Ich werde schon auf das Mädchen aufpassen.«
»Aber … «
»Ich weiß deine Besorgnis zu schätzen«, unterbricht sie mich scharf. »Aber du solltest dich jetzt darauf konzentrieren, Ariel für dich zu gewinnen, mit Leib und Seele. Koste es, was es wolle.«
»Das werde ich«, versichere ich ihr erneut. Aber ich spüre, wie mir die Angst den Rücken hochkriecht.
»Lüge, betrüge, stiehl, ja, töte, wenn es sein muss.« Ihr bissiger Tonfall lenkt meinen Blick auf ihre kleinen, scharfen Zähne. »Denn nur deshalb habe ich dich für diese Aufgabe ausgesucht: Du kannst Dinge tun, die uns Botschaftern nicht erlaubt sind.«
Ich reiße mich zusammen und versuche, mich gegen meinen zunehmenden Widerwillen zu wehren. Ich habe schon getötet. Wenn ich muss, kann ich es wieder tun. Und ich muss. »Wen soll ich für dich töten?«
»Jeden, der dich an der Erfüllung deiner Aufgabe hindern will.«
Ich schüttle mich und versuche, das Bild von Ariel mit einer Kugel im Kopf loszuwerden. Es ist in einer anderen Welt geschehen. Diese Realität muss nicht ebenso blutig enden. »Ich bezweifle, dass das nötig sein wird.«
»Höchstwahrscheinlich nicht. Aber du solltest unbedingt wissen, wie weit ich gehen werde, um die Zukunft zu schützen.«
Ich schaue über ihre Schulter zum Höhleneingang, ich kann meinen Blick nicht davon lösen. Der Geruch des Bösen ist immer noch dort. Diese Höhle ist ein Ungeheuer, und wir stehen nah genug, um es atmen zu hören.
»Aber ich … Das ist doch sicher nicht der Grund, warum wir hergefahren sind.«
»Ich wollte dir unbedingt etwas zeigen.« Sie hält mir erneut ihre Hand hin.
Ich balle die Fäuste. »Ich will nicht wissen, was in der Höhle ist.«
»Weder was du willst noch was du fühlst, spielt eine Rolle.« Ihr nüchterner Tonfall ist grausam, gerade weil sie so ruhig und gelassen bleibt. »Es schert niemanden, was mit dir geschieht. Du bist nur Mittel zum Zweck. Wenn du versagst und mir nicht von Nutzen sein kannst, dann wirst du für niemanden mehr von Nutzen sein. Abgesehen natürlich von den Kreaturen, die dich quälen und foltern, um sich ein bisschen zu amüsieren.«
Ich entblöße meine Zähne zu einem grausamen Söldnerlächeln in der Hoffnung, ihr damit Angst einzujagen. »Ich nehme an, dass du zu deinen anderen Bekehrten netter bist.«
»Ich gebe dir die Möglichkeit, deine Seele zu retten. Was könnte wohl netter sein? Vielleicht, dir den nötigen Ansporn zu liefern?« Sie greift nach meinem Arm und zerrt mich wie ein unartiges Kind hinter sich her.
Sie will mich verletzen, daran hege ich nun keinen Zweifel mehr. Wie dumm von mir zu glauben, die Botschafter seien anders als die Söldner. Beinahe tausend Jahre haben Schmerz und Angst mich beherrscht, und nun zeigt sich, dass meine neuen Herrscher ebenso grausam sind wie die alten. Die Mächte des Lichts stellen mir jedoch eine angenehmere Zukunft in Aussicht.
Aber es kann auch eine Strafe sein, wieder schmecken, fühlen und riechen zu können …
Das habe ich während der Zeit erfahren müssen, als mein Seelengeist mich gefangen hielt. In dem verwesenden, stinkenden Körper habe ich völlig neue Arten des Schmerzes und des Leids kennengelernt. Allein der üble Geruch treibt einen in den Wahnsinn.
Der Gestank ist widerwärtig!
Er schlägt mir schon am Eingang der Höhle entgegen. Es würgt mich, und ich versuche, ihr meinen Arm zu entreißen. Aber die Botschafterin hält mich fest und zwingt mich unerbittlich vorwärts und weiter zu dem bedrohlichen Knurren in der Dunkelheit, dem Ungeheuer, das sie mit ihrem Zauber gefangen hält. Sie hat mich hergebracht, um mich daran zu erinnern, dass sie mir jederzeit wieder nehmen kann, was sie mir gegeben hat. Ich bin allein ihr Geschöpf. Entweder spiele ich das Spiel nach ihren Regeln – oder gar nicht.
Erstes Zwischenspiel
VERONA, ITALIEN, 1304
Julia
D as Leben nach dem Tod ist ein Albtraum. Zu wissen, dass man vielleicht niemals wieder aufwacht, ist die Hölle.
Der Stein, auf dem ich liege,
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