Romeo für immer, Band 02
drückt sich schmerzhaft in meinen Rücken. Auch in meinen Fingerspitzen pocht der Schmerz. Ich habe mir die Nägel eingerissen bei dem Versuch, den Deckel meines Sarkophags beiseitezuschieben. Ich atme faulige Luft. Sie ist von stechendem Verwesungsgestank durchdrungen, denn Tybalts Leiche liegt nur wenige Schritte von mir entfernt, aufgebahrt auf seinem Totenbett. Doch den Luxus des Würgens kann ich mir nicht erlauben.
Ich bin erneut in meinem Sarkophag gefangen. Lebendig begraben liege ich sterbend in der Dunkelheit. Schon wieder!
Ich sage mir, dass es nur ein Albtraum ist, doch ich kann meine Augen nicht öffnen. Ich kann mich nicht bewegen. Weder kann ich meine Hände heben, um die Marmorplatte über mir wegzuschieben, noch kann ich meinen Mund öffnen, um zu schreien und Hilfe herbeizurufen.
Ich spüre das Gift durch meine Adern rinnen, das Bruder Lorenzo, der Franziskanermönch, mir gegeben hat, um meinen Tod vorzutäuschen. Es strömt in meinen Kopf und bringt den Wahnsinn mit sich. Vage ist mir bewusst, dass mein Herz schlägt und ich trotz der Kälte, die in der Grabkammer herrscht, schwitze wie im Fieber. Meine Seele hat sich von meinem Körper entfernt und irrt durch eine Welt des Schreckens, aus der ich womöglich nie wieder zurückkehren werde.
Vielleicht ist es ja das Werk der Amme. Vielleicht hat sie mich auf ewig verdammt, als Strafe dafür, dass ich mich geweigert habe, weiterhin den Botschaftern zu dienen. Vielleicht muss ich nun bis ans Ende aller Zeiten ertragen, lebendig begraben zu sein wie in einem düsteren Albtraum.
Ich kämpfe mich durch finstere Traumlandschaften, bevölkert von toten Gestalten, die drohend ihre schwarzen Zähne fletschen. Es sind Hunderte von toten Romeos, einer verrotteter und bösartiger als der andere. Jeder Einzelne von ihnen giert nach einem Stück meines Herzens.
Im Hinterhalt der Dunkelheit, die mich umgibt, im Morast unter meinen Füßen, wartet er auf mich, um sich auf mich zu stürzen, mit roten Augen, wie ein Dämon, den man ausgesandt hat, um mich in die Flammen zu ziehen. Mit seinen Klauen greift er nach mir und zieht mich hinunter, um mich im Schlamm zu ertränken. Schlamm dringt in meine Nase, läuft mir die Kehle hinab und erstickt jede Hoffnung auf einen Atemzug. Mein Herz schlägt langsamer, meine Gedanken, zuvor geschärft von Angst, verschwimmen plötzlich. Und etwas, was tiefer ist als Schlaf, zieht mich mit sich.
Für einen Augenblick glaube ich sogar, dass ich wirklich tot bin und in Frieden ruhe, dass ich unerreichbar bin für Romeo oder die Söldner und auch für meine Amme, die mich so schändlich verraten hat. Unerreichbar für die quälende Gewissheit, dass Ben tot ist.
Ben! Die Erinnerung an sein Gesicht, das zuletzt von Romeos Faustschlägen so schrecklich zugerichtet war, zerreißt mir das Herz. Mein Ben, mein wunderbarer, trauriger Freund. Einen atemlosen Moment lang habe ich geglaubt, ihn wieder unversehrt und glücklich machen zu können. Aber so etwas wie Glück existiert nicht. Und schon bald werde ich auch die Bedeutung des Wortes unversehrt nicht mehr kennen.
Stolpernd fängt mein Herz wieder an zu schlagen, und die Albträume beginnen aufs Neue, nur noch viel schrecklicher. Ich muss mit ansehen, wie Romeos Leichnam sich in einen schönen, von Licht durchdrungenen Körper verwandelt. Ich sehe zu, wie er den Schwur der Botschafter leistet und seinen Frieden in ihren Diensten findet, während ich hier ausharren muss, alleine und verloren. Irgendwie weiß ich, dass dies wirklich ist. Sie bestrafen mich für meine Weigerung, den Botschaftern weiterhin zu dienen. Und Romeo, das bösartigste Geschöpf, das ich kenne, belohnen sie.
Sie werden ihn belohnen. Noch ist es nicht geschehen. Doch es wird so kommen. Ich weiß es. Es ist kein Traum. Ich habe eine Vision. Am liebsten würde ich schreien, bis mir das Blut die Kehle hinunterrinnt.
Es gibt keine Gerechtigkeit im Leben. Ich weiß nicht, wieso ich gedacht habe, dass dies im Leben nach dem Tod anders sein würde. Aber ich habe daran geglaubt. Gott helfe mir, ich habe es wirklich geglaubt. Aber es gibt auch nach dem Tod keine Gerechtigkeit. Ich war eine Närrin, das anzunehmen.
Ich versuche, meine Augen zu schließen und wieder zu öffnen, um mein träumendes Ich von der Vision eines goldenen Romeos mit verheißungsvoller Zukunft zu erlösen und mein schlafendes Ich aufzuwecken. Aber es gelingt mir nicht. Ich kann nichts tun. Ich bin verloren und ohne jede Kraft. So hilflos wie
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