Romeo für immer, Band 02
wohnte.
Wahrscheinlich meinte sie es nicht einmal böse, für sie war es ein Spiel. Aber Mom hat die Beherrschung verloren und das Mädchen wütend angeschrien, woraufhin die Mutter des Mädchens meine Mom anbrüllte. Mom hat mich vom Spielplatz gezerrt, und wir sind danach nie wieder bei Tageslicht dort gewesen. Ich durfte von nun an immer erst nach dem Abendessen auf den Spielplatz, wenn niemand mehr dort war. Sie begründete es damit, dass die Sonne meiner narbigen Haut Schaden zufügen könne, aber ich wusste es besser. Es hat sie überfordert, die Mutter eines Monsters zu sein.
Schon damals litt ich unter den Schüben und war deswegen zwei bis dreimal in der Woche bei einem Kinderpsychologen in Behandlung. Noch mehr negative Reaktionen konnte meine Mutter einfach nicht ertragen. Für sie war es wohl einfacher, sich im Haus zu verstecken, als sich der schlimmen Welt da draußen zu stellen.
Ich beschließe daher, ihr nichts von der Wette zu erzählen. Ich will ihr Mitleid nicht, und ich will auch nicht, dass sie mich vor Dylan beschützt, so wie sie mich als Kind immer vor den anderen beschützt hat. Aber ich finde Dylan nun einmal, na ja … interessant. Vielleicht sollte ich ihn hassen, immerhin ist es gut möglich, dass ich ihn für den Rest des Schuljahres meiden muss wie die Pest, aber diese Entscheidung möchte ich gern selbst treffen.
Dieser Gedanke verleiht mir Kraft und Zuversicht, und als endlich unser blaues Haus in Sicht ist, schaffe ich es sogar, die letzten Meter zu laufen. Der Wagen meiner Mutter steht bereits im Carport. Ich weiß nicht, wie lange sie schon zu Hause ist, und hoffe einfach, dass ich es rechtzeitig geschafft habe. Zumindest stehen keine Streifenwagen in unserer Einfahrt. Das ist ein gutes Zeichen.
Ich haste die Stufen hoch und öffne vorsichtig die Fliegengittertür. In der Küche brennt Licht. Es überrascht mich nicht, dass meine Mutter noch wach ist. Allerdings habe ich erwartet, dass sie sich eine ihrer Grey’s Anatomy - DVD s anschaut und nicht, dass sie mir vor der Tür zum Carport auflauert. Ich versuche, meine Haare zu glätten und mir den Dreck von der Bluse zu klopfen, aber gegen meine nasse Jeans und den Uringeruch kann ich nichts tun.
Die Stimmen mit ihren gellenden Schreien überfallen mich nur noch selten. Und wenn, gelingt es mir meist, mich rechtzeitig in mein Zimmer zurückzuziehen, sodass meine Mutter nichts davon mitbekommt. Aber sie weiß natürlich, warum ich mir als Kind in die Hosen gepinkelt habe. Damals, als ich mich auf dem Schulhof für alle Zeiten blamiert habe, musste sie mich abholen. Und sie saß neben mir, wenn ich während der Therapiestunden auf den Psychiater wütend wurde und einen Schub erlitt. Sie wird erraten, was passiert ist, und mich wieder zum Seelenklempner schicken, noch bevor ich die Worte »Ich kann dir das erklären« aussprechen kann.
Mein Hals wird trocken. Vorsichtig schleiche ich rückwärts die Stufen hinunter. Vielleicht kann ich ja unbemerkt durchs Fenster in mein Zimmer klettern. Wenn ich es schaffe, die schmutzigen Sachen auszuziehen, sie unters Bett zu schieben und mich zu duschen, bevor …
»Ariel? Bist du das?« Das klingt besorgt, aber keineswegs panisch. Es kann also noch nicht sehr spät sein. Als wenn das jetzt noch eine Rolle spielen würde. Verdammt! Warum habe ich nicht vorher darüber nachgedacht, wie ich aussehe? Warum war ich nicht klug genug, mich von hinten anzuschleichen, als ich gesehen habe, dass in der Küche Licht brennt?
»Ariel?« Mom erscheint hinter dem Fliegengitter. In ihrer weißen Krankenschwestertracht sieht sie schmal und blass aus. »Wieso bleibst du denn draußen vor der Tür stehen, Schatz?«
»Ich … Ich dachte, du schläfst vielleicht schon.«
»Ich habe auf dich gewartet, weil ich neugierig bin, wie dein Date war.« Sie lächelt mich an. »Komm doch herein, es wird langsam kühl.«
Zögernd schleppe ich mich die Stufen hoch. Ich werde wohl nicht darum herumkommen, also kann ich es auch gleich hinter mich bringen. Kaum stehe ich im Türrahmen, rümpft Mom die Nase, und ihr Blick fällt sofort auf meine Jeans. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, dass ich mich in einen kleinen weichen Ball verwandle, der durch den Flur ins Zimmer rollt – Augen und Ohren, das ganze Gesicht zusammengepresst, damit ich nicht hören muss, was sie sagt.
»Oje! Was ist denn passiert, Ariel?«, fragt sie, während sie die Tür hinter mir schließt. »Wo ist Dylan? Und wo hast du deine
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