Romeo für immer, Band 02
bleibt sitzen und sieht mich verwirrt an. »Was ist?«, frage ich.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
»Du hast meine auch nicht beantwortet. Ich habe zuerst gefragt.«
Sie kneift die Lippen zusammen. Bestimmt wird sie ablehnen. Enttäuschung steigt in mir auf. Meine Einladung sollte sie von unserem Gespräch über Liebe ablenken. Aber ich muss zugeben, der Gedanke, im Dämmerlicht mit ihr über die Tanzfläche zu schweben, gefällt mir. Es wäre doch schön, die letzten Stunden in meinem geliehenen Körper tanzend mit ihr zu verbringen.
»Na gut«, sagt sie.
»Ist das ein Ja?«
»Ja. Ich gehe mit dir zum Schulball«, erklärt sie. »Aber wenn das wieder nur ein schlechter Scherz ist, dann schwöre ich dir … «
»Das ist kein Scherz.« Ich knie mich neben sie und sehe ihr tief in die Augen. Sie soll wissen, wie ernst ich das meine, was ich ihr jetzt sage. »Du bist kein Freak. Du bist schön und klug, und ich bin gerne mit dir zusammen. Das heißt, wenn du nicht sauer auf mich bist.«
Sie verdreht die Augen. »Aber du … «
»Ich bin keiner, mit dem man großartig glänzen kann«, sage ich, bevor sie mich zurückweist. »Ich bin nur ein Idiot in schwarzen Klamotten, der mit einer Schrottkarre durch die Gegend fährt.«
»Niemand hält dich für einen Idioten.«
»Natürlich nicht. Alle Welt hält mich doch für ein verkommenes Subjekt. Ich bin der Blödmann, der regelmäßig von seinem Vater verprügelt wird. Und zu allem Überfluss singe ich auch noch in einer Band, die ›Demon Biscuit‹ heißt. Der Name war übrigens meine Idee, ich fand ihn cool.« Sie lacht. »Eigentlich bin ich der Freak und nicht du«, erkläre ich. »Ich habe keine Ahnung, wieso man mich nicht schon längst aus der Gesellschaft ausgeschlossen hat.«
»Ich schon. Du bist selbstbewusst, kannst wahnsinnig gut singen, und du bist der heißeste Typ der ganzen Schule.«
Ich setze mich wieder hin, mein Bedürfnis, ihr nah zu sein, ist einfach zu groß. »Du findest mich heiß?«
»Was sonst?«, flüstert sie und fügt errötend hinzu: »Außerdem kannst du wahnsinnig gut küssen.«
»Dazu gehören immer zwei.«
»Stimmt.« Ihr Lachen streift meine Lippen und löst erneut schmerzliche Sehnsucht in mir aus. Doch diesmal halte ich Abstand. Ariels Küsse sind wunderbar. Aber noch schöner ist die Vorfreude, die Erwartung darauf, dass ich mich gleich voller Glück und Verlangen in ihrem Kuss auflösen werde.
»Ich bin nicht besonders geübt im Küssen«, sagt sie und senkt verlegen den Blick. Wie Schmetterlinge liegen ihre Wimpern über ihren Wangen. Ich würde jetzt gern ihre Augenlider küssen. Ich möchte sie überall küssen, jedes kleine Stückchen Haut und jede Linie ihres Körpers. »Das war mein erster Kuss gestern Abend.«
»Ist das eines deiner Geheimnisse?«, frage ich. Sie nickt. Ich lasse meine Hand durch ihr Haar gleiten, nehme eine Strähne zwischen meine Finger und genieße das seidige Gefühl. »Dann bin ich jetzt wieder an der Reihe.« Sie legt den Kopf zurück, es ist die wortlose Einladung zu einem Kuss. Ich bringe meinen Mund nah an ihren, halte aber inne, kurz bevor unsere Lippen sich berühren. »Ich habe schon viele Mädchen geküsst«, murmle ich schamlos, denn ich weiß, dass meine nächsten Worte sie glücklich machen werden. »Aber du bist … «
»Was?», flüstert sie.
»Eine Offenbarung.« Das ist nicht gelogen. Sie ist eine Offenbarung.
Wenn ich sie küsse, werde ich von Gefühlen übermannt, von denen ich glaubte, sie blieben mir auf ewig versagt. Mit ihr empfinde ich etwas. Mit ihr bin ich … besser. Immer noch nicht gut, aber das Böse ist weniger nah. Ich ziehe sie in meine Arme. Zum ersten Mal frage ich mich, was wäre, wenn … wenn ich mehr Zeit hätte … Wäre es dann möglich?
Könnte ich ihrer Liebe würdig sein?
Zweites Zwischenspiel
VERONA, ITALIEN, 1304
Julia
D ie Albträume schlagen ihre spitzen, dämonischen Klau- en in meinen Verstand, um ihn in Stücke zu reißen. Trotzdem möchte ich weiterschlafen. Doch sogar in meinen Träumen kann ich ihn riechen. Den modrigen, mineralischen und süßlichen Geruch der Erlösung. Wasser. Wasser!
Ich schrecke aus dem Schlaf. Quälende Schmerzen peinigen mich.
In der Gruft ist die Welt undurchdringbar schwarz. Mit steifen, schmerzenden Gliedern drehe ich mich auf die rechte Seite meines engen Gefängnisses. Weder Angst noch Schmerzen können mich von meinem Vorhaben abbringen. Mit zitternden Fingern ertaste ich das sickernde
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