Romeo für immer, Band 02
tatsächlich das ist, was ich in ihr sehe, nämlich ein guter Mensch. Die Botschafterin täuscht sich. Dieses Mädchen kann unmöglich böse und grausam sein. Nie im Leben.
Ich sehe sie an und finde keine Worte für meine Gefühle. Dankbarkeit? Hochachtung? Tiefe Verbundenheit? Ich will etwas sagen, doch ich weiß nicht, wie ich beschreiben soll, was ich empfinde … was ich für sie empfinde.
»Weinst du?« Erschrocken sieht sie mich aus ihren großen Augen an. »Es tut mir leid, das wollte ich nicht.«
»Es muss dir nicht leidtun.« Ich nehme ihr Gesicht in die Hände und küsse sie. In den Kuss lege ich all die Gefühle, für die ich keine Worte finde.
Sie schmeckt nach Salsasoße und nach etwas Süßem und gleichzeitig Scharfem. Sie schmeckt nach Ariel. Ich gehe völlig in diesem Kuss auf. Sie legt ihre Hände in meinen Nacken und zieht mich näher an sich heran. Unsere Seelen berühren einander. Ich wachse über Dylans Körper hinaus, werde eins mit den Wellen, der Brandung, der Sonne in Ariels Haar und dem Wind auf unserer Haut. Ich bin zugleich alles und nichts und existiere nur, weil dieses Mädchen mich umarmt.
Es schnürt mir die Kehle zu, als Ariel näher rutscht und sich auf meinen Schoß setzt. Ich habe das Gefühl, jeden Moment sterben zu müssen. Es ist so wunderbar, ihr nah zu sein. Sie lässt ihre Finger durch mein Haar gleiten, und ihre Lippen liebkosen meinen Hals.
»Oh Gott, ich liebe dich«, flüstere ich. Und lande mit einem so heftigen Ruck wieder im Körper, dass ich nach Luft ringe. Ich weiß nicht, was mich stärker erschüttert. Dass ich den Gott anrief, an den ich nicht glaube, oder dass ich meine Lüge für wahr hielt.
Zumindest in der Sekunde, als ich sie aussprach. Doch jetzt, als ich Ariel ins Gesicht sehe – sie ist vor Misstrauen plötzlich ganz blass – , spüre ich deutlich meine Enttäuschung. Ich habe Gefühle für sie. Aber ich liebe sie nicht. Ich liebe nichts und niemanden, jedenfalls nicht auf die Art, wie Menschen lieben. Ich bin eine selbstsüchtige, verbitterte und gemeine Kreatur, die nichts anderes im Sinn hat, als die eigene Haut zu retten. Was ich auch fühlen mag, es entspringt ausschließlich meiner Selbstsucht und meiner Furcht. Im Moment ist außerdem eine gehörige Prise Wollust mit im Spiel. Ariel ist viel zu klug, um darauf hereinzufallen.
Sie rutscht von meinem Schoß und wischt sich mit dem Handrücken meinen Kuss von den Lippen. Dann schüttelt sie ihr Haar vors Gesicht, senkt den Kopf und schließt damit erneut den Vorhang zwischen uns. Gleichzeitig presst sie die Fäuste in ihren Schoß.
Ich verfluche mich. Wieso konnte ich nicht abwarten? Ich hätte vorsichtiger sein und mich mäßigen müssen, um unsere scheinbare Liebe nicht durch falsche Hast zu gefährden. Möglicherweise habe ich jetzt alles zerstört. Und das nur, weil ich mich von meinem Begehren habe hinreißen lassen. Ich habe mein Ziel gefährdet und mich wie ein dummer Junge von einem Kuss überwältigen lassen.
»Es tut mir leid«, entschuldige ich mich.
»Warum tust du das?« Sie zieht die Schultern hoch, und ich befürchteschon, dass sie in Tränen ausbricht. Doch ihre Worte sind kalt und hart, ihr Tonfall messerscharf. »Wieso hast du heute Morgen vor meinem Fenster gestanden? Warum sind wir hier? Was willst du von mir?«
»Ich möchte bei dir sein.«
»Wieso auf einmal? Warum jetzt?« Sie sieht mich an, und ihr Anblick raubt mir erneut den Atem.
Sie ist so völlig … sie selbst. Ich habe oft und lange in dieses Gesicht geschaut, als Julia noch in Ariels Körper wohnte, aber jetzt sieht ihr Gesicht ganz anders aus. Mir ist nie aufgefallen, welchen Unterschied die Seele macht. Obwohl ich es doch eigentlich hätte wissen müssen. Denn egal in welchem Körper Julia steckte, ich habe sie immer sofort erkannt. Auch ohne ihre goldene Aura konnte ich sie jederzeit in einer Menschenmenge ausmachen. Ich bin plötzlich überzeugt, dass es mir mit Ariel ebenso ergehen würde. Selbst wenn sie in einem anderen Körper steckte und mich aus den Augen einer anderen anschaute, würde ich wissen, dass sie es ist.
Und ich würde mich gleichzeitig ein wenig vor ihr fürchten. Auch dann, wenn sie nicht meine Zukunft in ihren Händen hielte. In ihrer Gegenwart fühle ich mich nicht annähernd so schlau, wie ich zu sein glaubte. Dieses Mädchen … sie geht mir an die Nieren.
»Warum?«, fragt sie wieder.
»Weil ich dich mag.« Und das stimmt. Ich mag sie wirklich. Ich mag es, wenn sie mir
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