Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
Wildheit des Ganzen: Hunderte Männer hoch zu Ross, grimmig entschlossen wie auf einem Schlachtfeld, nur dass es nicht um Eroberung ging, sondern um Sport. Ein Spektakel, das ebenso gefährlich und kostspielig wie herrlich anzusehen war.
Die Samurai ritten in einem großen Kreis, der langsam immer enger und immer schneller wurde. Wenn sich Flanke an Flanke presste und sie den Boden tatsächlich zum Beben brachten, schleuderte man einen Holzball in ihre Mitte, und dann brach das Chaos aus.
Das Ziel bestand darin, den Ball zu ergreifen und damit der Masse der Leiber zu entkommen, ohne aus dem Sattel gerissen zu werden. Waffen waren nicht gestattet, aber das machte es nicht ungefährlicher. Das Gedränge entwickelte sich schnell zu kaum mehr als einer großen Massenschlägerei: Die in Panik versetzten Pferde traten aus und rammten einander, die Männer kratzten und schlugen sich. Wer aus dem Sattel fiel oder gerissen wurde, stürzte in eine See aus stampfenden Hufen, und nur die wenigsten tauchten unversehrt daraus wieder auf.
Der Sieg erforderte einiges Geschick, vor allem aber viel Glück. Dennoch erntete der Mann, der den Ball davontrug, für sich selbst und seinen Clan große Ehre und Anerkennung. So zogen diese Reitertreffen, die nur selten stattfanden, stets Männer von nah und fern an, die sich einen Namen machen wollten.
«Was haltet Ihr davon, mein lieber Fürst Shinmen?», fragte Nakata, und seine Augen schwammen geradezu in Selbstgefälligkeit.
«So beeindruckend das auch sein mag», wandte Shinmen ein, «dürfte ich Euch, meinen lieben Verbündeten, daran erinnern, dass unser beider Kavallerie zusammen lediglich einem Bruchteil dessen entspricht, was unser Herr, Fürst Ukita, aufzubieten vermag?»
«Oh, ich habe nicht vor, den Sieg davonzutragen, und auch nicht, ihn mit schieren Zahlen einzuschüchtern. Nein, die ganze Veranstaltung und der Anblick so vieler Fürsten und Krieger, die alle meiner Einladung gefolgt sind, wird ihm vor Augen führen, dass ich, sollte ich es wünschen, durchaus auch noch über andere Möglichkeiten verfüge.»
«Das ist allerdings nicht unriskant. Es kann nicht in unserem Interesse sein, ihm die Idee in den Kopf zu setzen, unsere Loyalität könnte ins Wanken geraten.»
«Hm. Wohl wahr», pflichtete Nakata bei.
«Erlaubt mir, dass ich etwas vorschlage. Wir treten nun in eine Zeit des Stahls ein, Hoheit, nicht in eine des Goldes», erklärte Shinmen. «Stahl ist es, was Ihr herzeigen müsst, und Stahl kann ja glücklicherweise noch andere Formen annehmen als nur die eines Schwerts in einer Hand.»
«Worauf wollt Ihr hinaus?»
«Haltet dieses Reitertreffen ab, aber führt ihm noch eine andere Stärke vor Augen. Mit unserer Kavallerie können wir ihn nicht beeindrucken, und Gold weckt in Zeiten wie diesen nur Habgier. Ich will damit natürlich nicht andeuten, dass unser Herr Fürst Ukita entsprechende infame Absichten hegt, aber solltet Ihr, mein lieber Verbündeter, einem Unglück oder einer Krankheit zum Opfer fallen – was der Himmel verhindern möge! –, so könnte unser Herr darin die Gelegenheit erblicken …» Shinmen hielt kurz inne, um nach einer akzeptablen Formulierung zu suchen, «… seinen Appetit nach Eurem Reichtum zu stillen. Dem könnt Ihr vorbeugen, indem Ihr ihn daran gemahnt, dass Euer Clan nicht nur auf Euren eigenen Schultern ruht. Ihr müsst ihm die Stärke Eurer Blutlinie vor Augen führen.»
«Meiner Blutlinie?»
«Ja.» Shinmen wandte sich dem jungen Nakata zu. «Und hier kommt Fürst Hayato ins Spiel.»
«Wie bitte? Ihr wollt, dass ich bei diesem Treffen mitreite?», entfuhr es Hayato, der über die plötzliche Aufmerksamkeit ebenso erstaunt war wie über den Vorschlag. Er hatte bis dahin in Gedanken versunken dagesessen. Nach einigen Monaten ungestörter Erholung waren seine Kräfte und sein Gewicht nun wiederhergestellt.
«Ja», bestätigte Shinmen.
«Muss ich unseren lieben Verbündeten an etwas erinnern?», fragte Hayato und hielt ihm den leeren Kimonoärmel hin.
«Welch bessere Möglichkeit gäbe es, zu demonstrieren, über welche Stärke die Nakata in ihrem Herzen gebieten? Ein einarmiger Mann, der an einem Reitertreffen teilnimmt – so etwas hat man noch nicht gesehen.»
«So etwas hat man noch nicht gesehen, weil derjenige schon vom Pferd gefallen und totgetrampelt wäre, bevor es richtig losgeht», erwiderte Hayato. «Nein, ich weigere mich.»
«Ach, bitte, mein junger Fürst», beharrte Shinmen. «Für jeden Mann, vom
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