Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
Es war ein ungewohntes Gefühl, so etwas zu tragen, und er sorgte sich um seine Balance im Sattel.
Doch wenn es eine Behinderung war, so war es eine gemeinsame. Alle Teilnehmer trugen solche Banner, selbst die herrenlosen Reiter, darunter aber waren die Männer in alles Mögliche gekleidet, von einer vollständigen Rüstung bis hin zu wenig mehr als einem Lendenschurz, je nachdem, ob es ihnen mehr auf Schutz oder Beweglichkeit ankam. Bennosuke war nur ein schäbiger, gesichtsloser Teilnehmer unter vielen, und das war ihm nur recht so.
Nach einiger Zeit kam Kumagai wieder. Die Anmeldung war abgeschlossen, und der große Ritt stand kurz bevor. Er streckte die Arme aus, und seine Männer legten ihm flink und ohne etwas zu sagen die Rüstung an. Sie war prachtvoll, der Helm mit einer Zierde versehen, und sein Gesicht verschwand unter einem rot lackierten Visier, das ein wütend grinsendes Dämonengesicht darstellte. Rotbraunes Pferdehaar ahmte einen langen Schnurrbart nach.
«Die Schwerter, Jungs», sagte er und wies auf eine Kiste.
Seine Männer nahmen ihre Waffen ab und verstauten sie nacheinander in der Kiste. Streng genommen gestattete es ihnen die Etikette, im täglichen Leben überall ein Kurzschwert zu tragen, aber das hier war Sport, und da loderten die Leidenschaften schon mal unbeherrschbar auf, und wenn ein Schwert zur Hand war, geschahen leicht Dinge, die man später bereute. Es war ein Zeichen des gegenseitigen Respekts und des ehrlichen Wettstreits, dass man alle Waffen beiseiteließ.
Bennosuke zögerte, war plötzlich nicht willens, sich von seinen Schwertern zu trennen. Es war dumm, das wusste er. Ein Jahr lang hatte er sich darauf vorbereitet, was er nun tun würde, aber die Schwerter ein letztes Mal niederzulegen war ein Gefühl, als würde er den Anker lichten, der ihn noch an der Welt festhielt. Er fragte sich, was wohl damit geschehen würde – würde der rachsüchtige Fürst Nakata sie zerschmettern lassen, oder würden sie einfach in der Kiste liegen bleiben, bis irgendein neuer Rekrut sie bekam?
Oder würden die Schwerter von einem seiner Bewunderer gestohlen und in einem Schrein verwahrt werden, der edlen und reinen Idealen gewidmet war? Würden junge Krieger dorthin pilgern, um die Klingen, die über Schalen mit brennendem Weihrauch lagerten, zu bestaunen? Und würde trauriges Glockengeläut erklingen, während sich die jetzt noch Ungeborenen tief vor ihnen verneigten, mit vor Neid und Sehnsucht feuchten Augen, und die Worte einer alten Schriftrolle lasen, die Bennosuke Shinmen als einen Samurai bezeichneten, der noch die rechte Ordnung der Welt gekannt hatte?
Er blinzelte. Vielleicht hatte die von der Erschöpfung ausgelöste Benommenheit ihn doch noch nicht ganz verlassen. Diese Vision war allerdings so plötzlich und bildhaft über ihn gekommen, dass er sich fragte, ob sich der Atem von Munisais Geist in ihn eingeschlichen haben könnte. Konnte das sein? Wenn es so war, war es eine Bestätigung. Es hieß, dass irgendein himmlisches Wesen ihm und seinem Trachten gewogen war und seinem Vater gestattete, mit ihm in Verbindung zu treten. Wärme – oder zumindest glühende Entschlossenheit – erfüllte sein Herz.
Schwerter waren Symbole. Seelen hatten Wert. Die Gedichte im Sinn, die über seine Seele verfasst werden würden, legte er seine Schwerter in die Kiste, klappte den Deckel zu und stieg aufs Pferd.
Ein Gong erscholl, rief die Reiter herbei. Kumagai führte seine Männer in schnellem Kanter aufs Feld, wobei sie sich zwischen anderen Samurai hindurchschlängelten, die gerade aufsaßen oder sich ebenfalls bereits in Bewegung gesetzt hatten. Ukita stand, da er ein großer Fürst war, in hohem Ansehen, und Bennosuke bemerkte die bangen Blicke, die seine Farben auslösten. Es war ein seltsames Gefühl anonymer, angemaßter Macht, inmitten der Armee eines anderen Mannes das Pferd eines anderen Mannes zu reiten, sein Gesicht vor der Welt verborgen. Es war ein gutes Gefühl. Er lehnte sich im Sattel hin und her, prüfte das Gewicht der Rüstung und das Maß der Behinderung durch das Banner.
«Musashi!», rief Kumagai und forderte ihn mit einem Wink auf, an seiner Seite zu reiten. Die Maske dämpfte seine Stimme, und seine Augen waren kaum zu sehen. «Mach keine Dummheiten, ja? Das hier ist gefährlich. Bleib bei uns. Wenn du stürzt, überlebst du das nicht. Das Letzte, was ich will, ist, einen Jungen mit zermatschtem Kopf heimbringen zu müssen. Das wäre … unehrenhaft.»
«Mir
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