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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
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er wurde so schnell zu Hayato befördert, dass ihre Rüstungen aneinanderschepperten. Der Fürst wandte sich hektisch um, und Bennosuke sah, dass die Augen unter seinem Helm vor Angst weit aufgerissen waren.
    «Scher dich fort! Weg mit dir!», wimmerte er mit hoher, lächerlich klingender Stimme. Er erkannte Bennosuke nicht; er sah nur ein weiteres unbekanntes Wesen in einer Welt, die er nicht verstand. Das genügte Bennosuke nicht. Hayato musste wissen, von wessen Hand er starb. Bennosuke beugte sich so weit zu ihm hinüber, dass sich ihre Helme an der Stirn berührten.
    «Du da! Weg mit dir! Weg!», brüllte einer von Nakatas Leibwächtern, aber er war zu weit entfernt, um einschreiten zu können. Er gestikulierte vergeblich, so eingezwängt wie Bennosuke noch wenige Augenblicke zuvor.
    «Bist du ein Samurai?», zischte Bennosuke, die Schreie ignorierend, als kämen sie von weit, weit her.
    Sein Blick bohrte sich in Hayatos Augen, und einen Moment lang war der Fürst sichtlich verwirrt. Er zog den Kopf zurück, um sich das Gesicht des anderen anzusehen, wobei er ihm immer noch so nah war, dass der Junge seinen Atem riechen konnte. Bennosuke wusste: Dies war der Augenblick. Seine rechte Hand fuhr in den linken Ärmel und schloss sich um den Griff des Dolchs. Er machte kurz die Augen zu und beschwor das Bild Munisais herauf, ihn anzuspornen, seine Tat zu rechtfertigen …
    Doch was er stattdessen sah, waren fünf nackte Männer, die sich in der Ferne in einer Wanne voll siedendem Öl wanden. Er sah den Himmel und die Erde, einen Ring aus Marterkreuzen und eine schmutzige kleine Siedlung – und nichts von all dem ergab einen Sinn. Die winzigen Gestalten zuckten und zuckten vor sich hin …
    «Weg! Weg mit dir!», ertönte wieder die Stimme des Leibwächters.
    Hayatos Blick hielt seinem stand, und die entblößte Kehle des Fürsten befand sich direkt vor ihm. Die Klinge war stark, doch die Hand, die sie zu halten versuchte, war es nicht. Bennosuke brachte es nicht über sich, die Waffe hervorzuziehen. Sein ganzer Körper war kalt, von Kälte wie gelähmt, und obwohl der Geist seines Vaters und alle rechtschaffenen Wesen des Himmels in diesem Moment aufschreien mussten, wusste er, dass er Hayato nicht töten konnte – denn er hatte selbst zu große Angst vor dem Tod.
    «Weg hier!», zischte ihm eine Stimme ins Ohr.
    Der Leibwächter hatte es geschafft, sich so nah an den Jungen heranzudrängen, dass er ihn packen konnte, und dann zwängte er sich zwischen den Jungen und den Fürsten. Bennosuke vermochte sich immer noch nicht zu regen, wusste aber, dass seine Chance vertan war. Er hatte versagt.
    «Wer ist das?», fragte Hayato. «Wer ist das?»
    Der Fürst sollte es nie erfahren. Ehe er demaskiert werden konnte, zwang Bennosuke sein Ross herum und drängte und drängte voran, bis er sich aus dem Schwarm befreit hatte, und dann lief seine Stute los, galoppierte mit der Freude der Befreiten aus der Arena heraus, an verwundeten Männern und Pferden vorbei, durch eine Zuschauerschar und an den vergeblichen Rufen der Wächter vorbei, bis sie all das hinter sich gelassen hatten – das Reitertreffen und die Stadt. Als Bennosuke keine Menschen mehr sah, sank er, vor schrecklicher Scham stöhnend und schluchzend, aus dem Sattel, hielt sich mit beiden Händen den Kopf, krümmte sich zusammen und drückte dann seine Stirn in den Dreck, wo sie, wie er nun wusste, hingehörte.
    * * *
    Die Schale Nudelsuppe vor ihm wurde kalt. Zwei halbe gekochte Eier schwammen in der schaumigen orangefarbenen Brühe. Bennosuke sah zu, wie die weichen Dotter in der warmen Flüssigkeit langsam erstarrten. Er hatte ein Wirtshaus betreten, immer noch den alten Brustharnisch am Leib, und hatte sein letztes Geld für diese Mahlzeit ausgegeben. Aber er verspürte keinen Appetit.
    Er war ein hölzern Ding, das vorgab, ein Mensch zu sein, und saß nur ausdruckslos vor sich hin starrend da. Dies war nichts, was er hätte erleben sollen, keine Zukunft, die er in Betracht gezogen hatte. Er fragte sich, was er jetzt tun sollte.
    Tja, dachte etwas in ihm, im Grunde weißt du doch, was du tun solltest. Du weißt, was ein Feigling wie du verdient hat. Aber dafür bist du ja wieder zu schwach, nicht wahr? Und deshalb hockst du hier. Deshalb harrst du aus.
    Der Junge versuchte, diese innere Stimme zu ignorieren, wusste aber, dass sie die Wahrheit sprach. Er durchlebte jenen Augenblick immer wieder, sah die Lücke in Hayatos Rüstung und seine pochende

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