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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
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Nur einer versuchte, sich noch einmal zu erheben, rein instinktiv hob er sich noch eine Handbreit empor, sank aber gleich wieder herab und rührte sich nicht mehr.
    Und keine unsterblichen Seelen schwebten himmelwärts.
    Bennosuke kam ein Bild in den Sinn. Er sah das buddhistische Mandala vor sich, das in Dorinbos Hütte an der Wand hing, von der Morgensonne erhellt. Erleuchtete weiße Gestalten erklommen den Berg Fuji, in der Unterwelt trieben Teufel und Dämonen Schabernack mit dem Schicksal der Menschen, und dazwischen befand sich die Schicht der eingezwängten, zerschmetterten Leichen.
    Diese Leichen sah er jetzt auch auf den Hängen des Tals von Sekigahara. Hier aber gab es keinen Teufel, und es führte auch kein Weg hinauf in den Himmel. Hier gab es nur Pulverrauch und hohlen Prunk, und darunter den Leichenteppich derer, die zum Nichts verdammt waren.
    Endlich verstand er.
    Er dachte an Munisai, an die Farbe seines Bluts, das die weiße Seide tränkte, und an das gedehnte Stöhnen, das ihm entwich, als all seine Qualen nichts mehr wert waren, und da verstand er.
    Er dachte an Shuntaro, der auf ewig mit den Männern, die er glaubte, gerettet zu haben, in siedendem Öl vor sich hin zucken und einen abscheulichen Todestanz aufführen würde, und da verstand er.
    Er dachte an Dorinbo, dachte an die letzten Worte, die er vor dem brennenden Scheiterhaufen gesprochen hatte, und jetzt endlich –
endlich
–, Jahre später, verstand er.
    Bennosuke stemmte sich mühsam von den zerfetzten Überresten des Pferds empor. Die Schlacht wütete noch immer, er aber hörte das nicht mehr. Er war als Kind der Amaterasu aufgewachsen und traf nun endlich die Entscheidung, sich zu dem zu erheben, der er sein wollte.

Kapitel 18
    W enn es endet, endet es, wie ein Falter aus dem Kokon schlüpft: Er drängt an vorbestimmter Stelle gegen eine mittige Naht, die langsam aufplatzt, und fortan gibt es zweierlei: den prachtvollen, frisch geschlüpften Schmetterling, der sich in den Himmel schwingt, und den unansehnlichen Kokon, der, nicht mehr gebraucht, zu Boden fällt.
    So verhält es sich auch mit Sieg und Niederlage.

    Marschall Fushimi schritt hinter den Linien der Speerkämpfer einher, feuerte sie mit Gebrüll an und fuchtelte mit dem Schwert in der Luft herum. Sie würden nicht wanken. Sie waren Samurai. Sie würden standhalten. Ohne Unterlass brüllte er, längst heiser.
    Was er da schrie, wären zu jedem anderen Zeitpunkt Banalitäten gewesen, doch der Marschall wusste im Grunde seines Herzens, dass riesige Schlachten wie diese mit der Welt der Vernunft nichts mehr zu tun hatten. Wenn man genug Männer zusammenbrachte, genug Pfeile abschoss, genug Pferde voranstürmen ließ, war es, als lösten sich die Grenzen zwischen den Einzelnen auf, und rohe Emotionen drangen dann so leicht durch dieses neue Ganze wie Blut durch Schnee.
    Das hatte gelegentlich auch seine guten Seiten, wenn beispielsweise eine seltene Gruppe aufrichtiger Männer plötzlich mehr Mut fasste, als ihnen im Grunde eigen war. Doch Fushimi wusste ganz genau – und hatte deshalb auch sein Leben der Sache der Gerechtigkeit gewidmet –, dass diese Welt von Natur aus verdorben war. Auf jeden anständigen Mann kamen zwei Halunken, auf jeden Helden fünf Feiglinge, und das hieß: Wenn so viele Menschen zusammenkamen wie jetzt, wartete die Verderbnis nur darauf, sich auszubreiten.
    Deshalb hasste Fushimi solche Schlachten, und deshalb wusste er, dass er jetzt in die Rolle des vorbeugenden Heilers schlüpfen musste: Seine Aufgabe bestand darin, das Übel auszumerzen, ehe es sich weiter verbreiten konnte. Mit der flachen Seite seines Schwerts schlug er an die Helme derer, die sich umwandten, und er legte Männern, ganz egal, aus welchem Winkel der Welt sie kamen, eine Hand auf die Schulter und wandte sich wie ein Vater oder Bruder an sie.
    Und es hatte funktioniert; die Männer Ukitas und der ihm verschworenen Fürsten hatten wie ein Fels in der Brandung standgehalten, hatten die wütenden Angriffe der Tokugawa stoisch ertragen und begannen nun, den Ostlern zu zeigen, über welche Qualitäten Bizen-Stahl gebot. Ihre Zahl hatte gewirkt, ihre Fähigkeiten hatten gewirkt, und sie hatten begonnen, die Abertausenden feindlichen Soldaten mit ihren Speeren und Schwertern zurückzudrängen.
    Das war der Stand eine halbe Stunde zuvor gewesen. Jetzt aber sah Fushimi die verräterischen Horden der frischen Kobayakawa-Speerkämpfer herbeiströmen. Systematisch lösten sie die

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