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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kirk
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er bemerkt hätte, worum es sich dabei handelte. Der Morgennebel hatte sich gelichtet, in großer Höhe sah er graue Wolken. Er lag auf dem Rücken und spürte die kalte, feuchte Erde am Hinterkopf. Das Sehen tat weh, stellte er fest, und das Hören auch. Hinten im Rachen schmeckte er Galle.
    Er setzte sich auf. Einer seiner Arme hatte unter seinem Oberkörper gelegen, und Bennosuke löste sich nun langsam und unter Schmerzen aus der verrenkten Haltung, in der er sich befunden hatte. Wäre er dazu in der Lage gewesen, so hätte er sich gewundert, dass er sein Schwert noch in der Hand hielt, die Finger um den Griff geschlossen wie versteinerte prähistorische Ranken um ein Stück Fels.
    Beide Hände waren klebrig von Blut, und die Haut, die unter seinen Panzerhandschuhen zum Vorschein kam, war rot. Er erinnerte sich an Schmerzen. Vorsichtig griff er sich an den Kopf und rechnete halbwegs damit, dass seine Fingerspitzen nun das berühren würden, was von seinem Gehirn noch übrig war, doch er entdeckte nur eine lange, schmerzende Schnittwunde. Der Junge betastete sie vorsichtig, bis er sich davon überzeugt hatte, dass sich der Knochen darunter zumindest nicht gebrochen anfühlte.
    Unsicher stand er auf und stützte sich dabei auf sein Schwert. Sein Haar hatte sich gelöst und war ebenso mit Blut und Schmutz verklebt wie sein halbes Gesicht. Über dem rechten Auge hatte sich eine schmutzige Kruste gebildet, und es fühlte sich wie aufbrechender Schorf an, als er nun die Lider wieder ganz öffnete.
    Bennosuke sah sich um: Rings um ihn her lagen Tote. Menschen und Tiere, Hunderte verdrehte Leichen und Kadaver. In der Nähe sah er die massige Gestalt eines Pferds. Es war mit schartigen roten Schussverletzungen überzogen, der Bauch war aufgeplatzt, und die Eingeweide hingen heraus. Ansonsten aber war es noch einigermaßen heil – und wirkte auf ihn plötzlich überaus einladend. Er war vollkommen erschöpft, die Welt verschwamm ihm vor den Augen, und seine Rüstung lastete schwer wie ein Gletscher auf ihm. Obwohl er erst seit wenigen Momenten auf den Beinen war, musste er sich doch schon wieder setzen.
    Wie ein alter Mann ließ er sich an der Flanke des Tiers nieder. Als er sich an den Brustkorb lehnte, knackte und blubberte es darin makaber. Das Pferd war derart von Kugeln zersiebt, dass es nun endgültig in sich zusammensank. Bennosuke sank mit und spürte, wie ihm das, was noch im Bauchraum vorhanden war, über die Füße schwappte. Die Eingeweide waren noch warm.
    Es war ein Thron aus Aas, dazu geschaffen, das Schlachtfeld von dort aus zu betrachten.
    Schlacht. Soldat. Sekigahara. Erst da tauchte der Grund, weshalb er hier war, wieder in seinem Bewusstsein auf. Seine Gedanken waren noch sehr träge. Irgendwie musste ihn das Gedränge der Speerkämpfer aus sich herausgezwängt, seine reglose, schmutzige Gestalt ausgeschieden haben wie eine Hornissenkönigin eine Larve, ehe der Kampf dann weitergegangen war und die Front sich von ihm fortbewegt hatte.
    Diese Front befand sich nun lediglich einige Dutzend Schritte von der Stelle entfernt, wo er saß, aber dennoch erschien seinem gelähmten Hirn der Weg dorthin unendlich weit. Die ineinander verhakten Speere und Lanzen wirkten wie das Gerippe eines dämonischen Pagodendachs. Dahinter erblickte er das ganze Ausmaß der Schlacht: Es war wie ein großes Panoramagemälde vor seinen Augen ausgebreitet, alles war fern und konnte ihm nichts anhaben.
    Er sah die Banner sämtlicher Fürsten Japans, die des Westens auf den Hängen und die des Ostens im Tal, und sie prallten wie zwei Wogen aufeinander. Nur anhand der Ausrichtung ihrer Standarten konnte man in diesem Gedränge erkennen, wer auf welcher Seite stand. Pfeile wurden abgeschossen, Musketen abgefeuert, Reitertrupps wendeten und griffen an.
    Der Begriff der Taktik und die Vorstellung fürstlicher Strategien erschienen von hier aus ebenso realitätsfern wie zuvor im Verhau der Speere. Stattdessen sah Bennosuke von hier aus die einzelnen Schicksale der anderen Abertausenden, und was er sah, waren kleine, lächerliche Dinge.
    Er sah zwei Männer, die einander umkreisten, vollkommen erschöpft, verdreckt und verschwitzt. Sie schlugen weit ausholend nacheinander, verfehlten sich immer wieder und strauchelten. Der eine hielt ein zerschmettertes Schwert, der andere hatte eine Arkebuse am Lauf gepackt.
    Er sah die verdrehten Augen eines am Boden liegenden Manns, der aus seinem Mund, der einem schwarz-roten Halbmond glich,

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